Zart behandeln. Das gilt an Weihnachten für die zerbrechlichen Christbaumkugeln genauso wie für das Miteinander.
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Mit den Christbäumen ist es so eine Sache. Immer stehen sie schief oder sie sind zu krumm, zu klein, zu struppig. Wenn dann aber die Sterne und Kugeln dranhängen und die Kerzen brennen, dann sind sie alle schön.
Es braucht den Schmuck. Das Leuchten und Glänzen. Es braucht die Christbaumkugeln. Ich sehe noch, wie mein Vater vorsichtig Kugel für Kugel, jede einzeln in Seidenpapier gewickelt, aus der Pappschachtel holt und an die Zweige hängt. Die Kugel bloß nicht zu fest drücken, bloß nicht fallen lassen, sie geht sofort kaputt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je eine runtergefallen ist. Mein Vater muss sie sehr zart behandelt haben.
Ein Neugeborenes braucht Zärtlichkeit
Das passt gut zu Weihnachten: Zart sein miteinander. Schließlich geht es an Weihnachten um ein Kind in seinen allerersten Stunden, das Jesuskind. Bei einem Neugeborenen wird es einem ganz von selbst zart ums Herz. Da entwickeln selbst Grobiane ein Fingerspitzengefühl, das sie vorher nicht an sich gekannt haben. Da will man dem Kind ganz sanft über die Wange streicheln. Mit leiser Stimme ein Wiegenlied singen und summen.
Es braucht Zartes und Zärtlichkeit für das Neugeborene. Und das Handfeste braucht es auch. Die Laken und Tücher nach der Geburt waschen, auswringen, das Kind tragen, in Windeln wickeln, Stroh in die Krippe legen… Alles sicher machen, um das Zarte zu schützen. Im Stall von Bethlehem und in den Räumen unseres Lebens.
Rund um Weihnachten ist viel zerbrechlich. Der Familienfrieden genau so wie der Weltfrieden und der Seelenfrieden.
Wenn eine Welt einstürzt
Ich habe von einer Hamburger Familie gelesen, die musste sich 1943 bei einem Bombenangriff in Sicherheit bringen. Der Schriftsteller Uwe Timm erzählt davon in seinem Buch "Am Beispiel meines Bruders". (1) Vater und Tochter haben in aller Eile aus der Wohnung ein paar Sachen gerettet: Handtücher, Bettdecken…
Die Tochter hat eine kleine Kiste mitgenommen, mit Wertsachen, dachte sie. Tatsächlich war darin der Christbaumschmuck. Staunend haben sie später gesehen, dass die Christbaumkugeln, die das Mädchen aus dem brennenden Haus getragen hat, unbeschädigt geblieben sind.
Das Haus ist eingestürzt. Aber so etwas Zartes, Zerbrechliches wie die Christbaumkugeln hat überstanden. Das gibt es: Alles um dich herum zerbricht, eine Welt stürzt ein. Und doch ist da etwas – das wird gerettet. Das bleibt heil.
Daran denke ich, wenn ich heute Abend den Christbaum schmücke und morgen an Heiligabend im Gottesdienst "Stille Nacht" singe: Christ, der Retter ist da.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur zur Sendung:
(1) Uwe Timm, Am Beispiel meines Bruders, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, S. 37-41.