Wort zum Tage
Von der Seele schreiben
03.06.2020 06:20
Sendung zum Nachlesen

Ausgerechnet als wir abschließen wollten, ging das Schloss kaputt. Es war als ob sich unsere kleine Kapelle der Versöhnung auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Berlin dagegen wehrte, geschlossen zu werden.

Ihren Lehmwänden fehlt etwas, wenn niemand mit seinen Fingern über ihre Hubbel fährt. Was soll der Sand in der Kerzenschale, wenn niemand ein Licht anzündet? Was soll der Altar, wenn niemand das Buch mit den Lebensgeschichten der Toten der Berliner Mauer herausnimmt?

Das Schloss blieb kaputt. Wir mussten uns mit einem Fahrradschloss behelfen. Die Tür war jetzt weithin sichtbar verriegelt mit einer schweren Kette.

Hier in der Bernauer Straße an der ehemaligen Sektorengrenze sehen wir jeden Tag die alten Betonplatten der Berliner Mauer. Zum Glück können wir sie heute umgehen, zwischen ihnen hindurch gehen. Aber sie erinnern an das Leben mit der Mauer, hinter der Mauer. Erinnern an die Mauer im Kopf.

Die Kapelle der Versöhnung setzt dagegen einen Kontrapunkt. Bewusst nicht aus kaltem Beton und Stahl gebaut. Sondern aus lebendigen Materialien: Lehm und Holz.

Der Lehm bildet den eigentlichen Bau, das Holz umhüllt ihn mit einem Wandelgang.

Die Lamellen aus Holz sind durchlässig für Wind und Regen. Die Kapelle zeigt sich offen und verletzbar, statt sich zu verschließen. Die Blicke werden durch das Holz auf den Wandelgang geleitet.

Die Kapelle macht neugierig, lockt dazu, hereinzuschauen. Ihre Offenheit, die Einfachheit ihrer Materialien, ihre Verletzbarkeit an diesem verwundeten Ort hat mir oft geholfen meine eigenen Verletzungen zu spüren, sie zuzulassen.

"Alle eure Sorge werft auf ihn, (auf) Gott." (1Petr 5,7) Die Kapelle ist einer der Orte, wo ich dieses alte Bibelwort verstehe. "Alle eure Sorge werft auf ihn."

Aber jetzt hängt da dieses Kettenschloss. Niemand darf rein. Corona.

Bis gestern waren die Lamellen durchlässig und die Tür stand offen. Plötzlich alles unzugänglich. Das luftige Lerchenholz wird zum abweisenden Zaun.

"Alle eure Sorge werft auf ihn." Elisabeth hat eine Idee und zum Glück auch viel handwerkliches Geschick. Wenige Tage später hängt außen an der Kapelle eine Tafel. Typ "Schultafel". Mit goldener Schrift steht dort schwungvoll: Von der Seele schreiben.

Darunter hat jemand geschrieben: Corona verkackt alles.

Daneben: Ich habe Angst um mich.

Und weiter: Ich wollte in den Urlaub fahren.

Du ferzeist uns imme(r).

Ich bete für alle Menschen, die einsam in den Pflegeeinrichtungen sind.

Hoffentlich können wir uns bald alle wieder in die Arme nehmen.

Ich bin offensichtlich nicht der Einzige, der Sorgen auf der Seele hat.

Ich nehme die Kreide und jetzt steht da: Danke!

 

Es gilt das gesprochene Wort.