Sendung zum Nachlesen
Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. Wenn ich wissen will, wie die Welt zusammenhängt, halte ich nach Liebe Ausschau. Und finde in der Bibel, im Hohelied der Liebe: Erotik. Eine Fülle davon!
„Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht.“ Oder: „Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt. Steh auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, dass der Duft seiner Gewürze ströme! Mein Freund komme in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten.“
Die Wissenschaftler sind lange nicht sicher gewesen: Wie konnte es eine so detailliert und blumig ausgeschmückte Beschreibung körperlicher Liebe in den biblischen Kanon schaffen? Es geht dabei nicht um Symbolik. Es geht um Erotik beim Sex! Sex ohne Erotik kann man schnell abfrühstücken. Zumindest theologisch. Das endet bei phallischen Fruchtbarkeitsmythen oder bei der unvermeidlichen Begründung von Fortpflanzung für den Erhalt der Menschheit.
Erotik ist mehr als Sex. Aber was genau? Ich gucke im Netz. Die Pornoindustrie hat sich den Begriff auf ihre Fahnen geschrieben hat. Ich finde Unmengen an tollen „Girls, Boys, Toys und Tipps“ in meiner Nähe. Die antike Götterwelt inspiriert mich auch nicht wirklich: Eros mit Fangnetz, Pfeil oder Peitsche? Ich weiß nicht. Und Erotik in den griechischen Mythen? Da überwiegen Drama und Zerstörung als Folge von nicht kontrollierter Wollust. Erotik scheint da als etwas Gefährliches haben, etwas, was schnell in einen Konflikt mit der gesellschaftlichen Norm und dem privaten Lebensentwurf führen kann.
Musik: Anajo, Mein erstes richtiges Liebeslied
Es ist wunderschön, dich zu sehen
Bloß dazustehen, du bist so schön
Es ist angenehm, zu verstehen
Nicht wegzugehen
Bloß dazustehen. Nicht wegzugehen. Bei Anajo klingt Erotik anders. Man kann sagen, das ist naiv. Ich finde es aber ziemlich ernsthaft. Es hat viel mit Erotik zu tun, weil es so hingebungsvoll ist. Ohne viele Extras, einfach: „Du bist so schön“. Überwältigt - nicht als Überfall oder Drama, sondern ganz frei. Es ist ein Liebes - und kein Diebeslied, singt Anajo deshalb. „Bloß dazustehen, nicht wegzugehen“. Sich einzulassen.
Einlässig sein, das hat viel mit Glauben zu tun, finde ich. Glauben hilft, sich hingeben zu können. Ist ja nicht ohne Risiko, sich so verletzlich zu zeigen. Der Glauben selbst hat viel mit erotischer Liebe zu tun. Er fordert eine ganz ähnliche Haltung: körperliche Präsenz und wache Sinne. Hinschauen und Hinhören, Berühren.
In der Mystik ist dann die Rede von Unio mystica: Verschmelzung, Leidenschaft. „Liebe mich oft und liebe mich lange.“ Schreibt die Mystikerin Mechthild von Magdeburg. Das ist keine sexuelle Einladung aus einem Liebesbrief, sondern ein Gebet. Erotik, die nicht auf Geschlechtlichkeit begrenzt ist.
Vielleicht ist die erotische Liebe ja viel größer als gedacht. Ich finde es reizvoll, wenn sie auch in anderen Lebensbereichen auftauchen kann. Zum Beispiel beim Kochen. Zu Erotik gehört immer sinnliche und leibliche Hingabe und Genuss. Geschmack, Duft, Körper. Freude an etwas, was Gestalt hat, was ich begreifen kann und was gleichzeitig auch vergänglich ist. Dazu gehört eine gute Portion Selbstvergessenheit und ich finde: auch Situationskomik. Offen sein für alles, was gerade da ist. Und was mich wirklich in den Kontakt bringt, zum Leben und zur Welt. Keine idealisierte Form und Fassung, sondern als So-Sein jetzt.
Dann wäre erotische Liebe so etwas wie eine Haltung zur Welt. Für mich eine wichtige Spur, Gott in der Welt zu entdecken. Erotische Liebe, die radikal ernst macht damit, dass wir Menschen körperlich und irdisch sind. Keine abstrakte Liebe, nicht bloß eine fantastische Ideenwelt, sondern ganz konkret spürbar im Gegenüber. Was Gott, dem christlichen Verständnis nach, ja selbst auch sein will.
Es gilt das gesprochene Wort.