Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.
Jeden Krümel vom geschmierten Brot pickt er auf. Auch die neben dem Teller. Sorgfältig, ja andächtig. Und ebenso konzentriert trinkt er jeden Schluck Kaffee. Ich sitze bei Udo. Er ist einer der Gäste, die jeden Tag in den Treffpunkt kommen. Es gibt belegte Brote. Kaffee oder Tee. Es gibt die Möglichkeit, sich zu duschen. Es gibt auch frischgewaschene Kleidung...
Udo spricht mit leiser Stimme und in vornehmer Sprache. Hat an der Hochschule Elektrotechnik absolviert, ist jetzt sechzig Jahre alt. Seine Eltern sind früh gestorben, erzählt er. Das hat ihn irgendwie aus der Bahn geworfen. Jetzt kommt er – still und bescheiden wie er ist, von montags bis freitags in die Neustadt 20. – Das ist ein Treffpunkt für Menschen ohne Wohnung und für Menschen mit Wohnung in "prekären" Verhältnissen. Einige waren vorher schon am Bahnhof. Haben bei einem Arzt um die Ecke ihr Methadon bekommen. Sie sind abhängig in ihrer Sucht. Von einem Stoff, der sie vergessen lassen soll, was sie erlitten haben und noch erleiden. Sie sind im schönen Rausch zuhause und fahren zugleich im hässlichen Rausch erschrocken auf.
Für ein paar Tage habe ich mitgeholfen in der Neustadt 20, in einer Einrichtung der Caritas Koblenz. Ich habe Menschen getroffen. Jede und jeder einzeln und besonders. Wie Udo, der Stille und Vornehme. Einfach sympathisch.
Udo und auch Eva, die sich abwechselnd auch mal Gertrud nennt, erzählen mir ihre Geschichten; ich staune. Was ist daran wahr? Was ist erfunden? Was entspringt einer seelischen Krankheit? Ich weiß es nicht und will es nie wissen. Hier geht es nicht um Kategorien. Hier geht es um den einen konkreten Menschen, der gerade vor mir steht.
Viele haben hier auch ihre Post-Adresse: für Post vom Jobcenter, von der Krankenkasse, wenn sie denn versichert sein können, von allen möglichen Ämtern oder auch von der Polizei.
Ute und Carin sind für alle da, die da kommen. Sie sind im Freiwilligendienst, streichen die Butter-Brote, kochen den Kaffee; waschen Wäsche, trocknen, sortieren; sie organisieren das Duschen … Und vor allem: sie hören zu. Der Mensch ist doch Beziehung, sagt Carin. Etwas davon können unsere Gäste hier erfahren. Etwas davon.
Und dann sind da: Markus und Heiner, Julian und Mark. Sozialarbeiter, die dort zu unterstützen versuchen, wo Unterstützung erwünscht ist. Die sich auskennen im Geflecht von Vorschriften, Paragraphen und Institutionen. Sie haben Connections zum Ordnungsamt, zur Ausländerbehörde, zu Bahnmitarbeitern, Polizei und anderen Hilfsstellen.
Unterstützung, wo und nur so weit sie gewünscht ist. Aber es scheint auch eine Freiheit zum Unglücklichsein zu geben. Da hatte sich einer – ich nenne ihn Ralf – entschieden, eine Therapie zur Entgiftung anzufangen. Alles vereinbart. Alles organisiert. Und dann taucht er ab. Alles wieder auf Anfang…
Von Jesus gibt es ja das Wort: "Unablässig beten – nicht nachlassen"! Was das heißen kann, erlebe ich hier, in der Neustadt 20; das lerne ich von Markus, Heiner, Julian und Mark, von Ute und Carin: nicht müde werden am Menschen, um nicht müde zu werden für den Menschen. Ich finde, das ist unablässiges Gebet. An einem Treffpunkt, wie es so viele gibt in unserer Republik; draußen an der Hauswand leuchtet das Logo der Caritas. Die ist seit genau 125 Jahren in Deutschland vielfältig unterwegs; unter dem Motto: "Das machen wir gemeinsam".
Nicht müde werden am Menschen, wach bleiben für den Menschen ...
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Saarländischer Rundfunk (SR)
Redaktion: Barbara Lessel-Waschbüsch
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den SR
Wolfgang Drießen, Bistum Trier
Katholische Rundfunkarbeit
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