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Sendung zum Nachlesen:
Was hältst du von Sanktionen beim Bürgergeld?
Ich frage Ulrike. Wenn ich nicht recht weiß, welche Meinung ich mir in solchen Dingen bilden soll, dann frage ich meine beste Freundin, weil sie sich auskennt und unglaublich pragmatisch und unideologisch ist.
Ulrike hat in ihren über dreißig Jahren, seit sie bei der Diakonie angefangen hat, so ziemlich jeden Mist gesehen, der sich in einem Leben ansammeln kann. Begonnen hat sie damit, dass sie alleinerziehende Frauen in einem so genannten Problemviertel beraten hat. Danach Schuldnerberatung. Da kamen Leute und kippten eine Schubladenladung mit unbezahlten Rechnungen und Mahnungen vor ihr aus. Dann: Schulkurse für junge Leute, die mit zwanzig noch keinen Abschluss hatten, weil sie die Schule abgebrochen hatten, geflohen waren oder, oder, oder. Ulrike kümmerte sich um Einzelne, motivierte, half ihnen das Leben gebacken zu kriegen. Jetzt leitet sie ein Diakonisches Werk.
Ulrike, was hältst du von Sanktionen? Denn mit der so genannten Vertrauenszeit wird es ja nun wohl nichts. Vertrauenszeit hieß: Keine Sanktionen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs, keine Drohung Geld zu kürzen, wenn jemand Termine zu Bewerbungsgesprächen verpasst. Diese Vertrauenszeit ist jetzt gestrichen.
Ist das denn was Böses? Könnte es für manche hilfreich sein, dass der Staat Arbeitslose mit einem Schubs warnt, sich lethargisch in ihrem prekären Leben einzurichten? Und mir fällt auch der eine oder die andere ein, die sich hängen lassen.
„Bringt nix“, unterbricht Ulrike mein Sinnieren. „Die Mehrheit der Leute wird deswegen nicht aktiver darin, sich Jobs zu suchen. Diejenigen, die passiv sind, haben meistens einen Haufen Probleme und sind eh kaum in der Lage dazu“, erklärt sie. Darum kapiert sie überhaupt nicht, dass die Fördermittel für Langzeitarbeitslose gekürzt worden sind.
Bei Einzelnen mag die Sanktion wirken. Bei Anderen aber verschlimmert sie das Chaos nur. Warum also diese Leidenschaft, mit der die Sanktionen verteidigt werden? Dass der Staat keine Vertrauenszeit gibt, soll vielleicht gar nicht real viel nützen, sondern zeigen: „Leute, es geht gerecht bei uns im Land zu!“ Ich finde es richtig und wichtig, dass politische Entscheidungen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden nicht verhöhnen.
Das Nein zur Vertrauenszeit will wohl sagen: Niemand hat das Recht, es sich auf Kosten der Allgemeinheit bequem zu machen. Dem stimme ich zu, nicht nur in Bezug auf Arme, auch in Bezug auf Reiche. Weswegen ich nicht haben möchte, dass meinesgleichen und ich vom Staat Beihilfen fürs Heizen bekommen, die wir als gut Verdienende nicht brauchen.
Trotzdem: Ich halte das Nein zur Vertrauenszeit für falsch. Nicht nur, weil es materiell nichts bringt. Dem Bürgergeld ist damit die Seele herausgerissen worden. Eine Demokratie zeigt ihren Bürgern, dass sie ihnen traut. Aber statt ihnen zu vertrauen, setzt der Staat in dem Moment, da ein Bürger oder eine Bürgerin keine Arbeit hat, von Anfang an auf Gängelei. Ich wünsche mir mehr liberalen Geist. Und was die Gerechtigkeit angeht: Es gibt neben dem Motto: „wie du mir, so ich dir“, noch ein anderes, es ist der Kern des evangelischen Glaubens: Durch Gnade wird der Mensch gerecht. Darin steckt die Überzeugung, dass Menschen nicht mit Faulheit reagieren, wenn Gott sie gütig und barmherzig behandelt. Im Gegenteil. Es spornt sie an zu guten Werken. Und was für Gottes Gnade gilt, setzt sich fort unter Menschen.
Oder wie Ulrike mir sagt: „Du schreibst auch keine bessere Klausur, wenn dir Kloppe angedroht wird für den Fall, dass es eine Fünf wird. Besser ist es, du kriegst Zuspruch.“
Ein guter Sozialstaat hat Vertrauen in Bürgerinnen und Bürger, auch und gerade, wenn sie in Not geraten. Dann wird aus Gnade und Zuspruch ihr gutes Recht.
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