Gemeinfrei via Unsplash/ David McLenachan
Ein Zwischenruf für Israelis und Palästinenser
Gedanken zur Woche von Pastor Matthias Viertel
24.11.2023 05:35
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Es war ein kurzer Zwischenruf, der meine Sicht erweitert hat. Seit Wochen verfolge ich die schrecklichen Nachrichten von dem Massaker der Hamas an der Zivilbevölkerung in Israel. Und ich sehe die Bilder von den Angriffen auf die Stadt Gaza, wo die Kommandozentralen der Hamas-Terroristen vermutet werden. Es ist kaum auszuhalten, jeden Tag aufs Neue mit diesen erschütternden Nachrichten konfrontiert zu werden.

Deshalb erleichtert es mich, dass die israelische Regierung nun mit der Hamas ein Abkommen über eine Feuerpause vereinbart hat. Die von der Hamas festgehaltenen Geiseln sollen ausgetauscht werden, erst einmal 50, im Gegenzug werden inhaftierte Palästinenser freigelassen. Die 50 israelischen Geiseln sind Kinder, Mütter und alte Menschen. 50 von vermutlich 240 verschleppten Menschen, das ist noch nicht viel, aber es ist ein Anfang. Vielleicht sogar ein Funke der Hoffnung, auch wenn einige solche Verhandlungen mit Terroristen kritisch betrachten, die am 7. Oktober 1200 Menschen auf brutale Weise ermordet haben.

Der Zwischenruf, der meine Sicht der Dinge beeinflusst hat, war am Montag in der Tagesschau zu sehen. Berichtet wurde von dem Druck, den Teile der Bevölkerung Israels auf ihre Regierung in Jerusalem ausüben. Ein Israeli, der Angehörige eines der entführten Opfer, rief in Richtung der Regierungsvertreter: „Hört endlich auf, über das Töten von Arabern zu reden, sprecht lieber über die Rettung von Juden! Das ist euer Job.“ (1)

Mit wenigen Worten drückt der Mann aus, was mich umtreibt. Es ist dieser verhängnisvolle Irrtum einer gnadenlosen „Schwarz-Weiß Malerei“. Wenn ich für einen Menschen Partei ergreife, muss ich nicht zwangsläufig gegen einen anderen sein. Dieses „Entweder – oder“ treibt die Spirale der Gewalt nur weiter an. Und es droht sogar, die Gesellschaft zu spalten. Ich zeige Flagge für Israel sowie für Jüdinnen und Juden in Deutschland, die seit dem 7. Oktober noch mehr bedroht werden als vorher schon. Gleichzeitig erfüllt es mich mit Trauer, wenn bei dem Versuch, die Geiseln zu befreien, Araber getötet werden.

Klar ist: Schon als Pfarrer fühle ich mich mit Israel besonders verbunden. Dort in Jerusalem und Galiläa lebten jene Menschen, auf denen mein christlicher Glaube aufbaut: Jesus kam im heutigen Palästina zur Welt, ebenso seine Jünger. Maria und Josef, Paulus und Petrus, Johannes und viele mehr - sie waren als Juden geboren und standen in der Tradition ihres Volkes. In Israel und Palästina haben Jüdinnen und Juden sowie Menschen aus anderen Völkern seit jeher ihre Heimat. Sie sind nicht erst vor 75 Jahren dorthin gekommen, auch Christen haben hier ihre Wurzeln und leben nach wie vor dort.

Das Abkommen zwischen Israel und der Hamas wurde durch das Engagement anderer Länder vermittelt. Trotz des Krieges gibt es Diplomatie und sie arbeitet daran, die Entführten zu retten sowie die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verbessern. Feuerpause bedeutet hoffentlich, dass in den kommenden Tagen nicht noch mehr Menschen ums Leben kommen: weder Juden noch Muslime, keine Israelis und keine Araber. Es geht um die Rettung von Juden und das sichere Leben der Menschen in Israel. Und es geht darum, wie Palästinenser jenseits des Terrors der Hamas eine Zukunft bekommen.

Die Feuerpause ist dafür ein Hoffnungsfunke. Niemand weiß, wie es weitergehen kann. Skepsis ist berechtigt und auch ein gewisses Maß an Vorsicht. Aber im Moment geht es mir wie dem Beter des Psalms, in dem es heißt: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.“ (Psalm 126,1) Mag sein, dass es ein Traum ist, ein Traum von der friedlichen Zukunft des Landes, das bislang keine Ruhe findet. Aber wie kann es überhaupt eine Zukunft geben, wenn sie nicht von solchen Träumen angetrieben wird.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

(1) www.ardmediathek.de/video/tagesschau/tagesschau-20-00-uhr-20-11-2023/