Vier Kinder - Lesly (13), Soleiny (9), Tien Noriel (4) sowie Cristin (1) - stürzen bei einem Flugzeugunglück mit ihrer Mutter, einem Piloten und einem Guide über dem Regenwald ab. Nur die Kinder überleben. Kinder allein ausgesetzt in einem Wald. Fernab der Zivilisation. Das erinnert mich an das Märchen von Hänsel und Gretel. Die beiden hätten umkommen können im Wald.
Die vier Kinder des Flugzeugabsturzes hätten auch umkommen können. Doch sie hatten Glück. Und sie hatten einander. Zu viert haben sie im Regenwald von Kolumbien überlebt. Vor allem die Älteste (13) hat als Indigene gelernt, was man im Regenwald essen darf und was nicht. Und weil sie schon vorher ihre Geschwister oft versorgt hat, wenn die Mutter arbeiten war. Es heißt, dass die Mutter wohl noch vier Tage nach dem Absturz gelebt haben soll.
Vier Kinder allein im Regenwald. Umgeben von gefährlichen Tieren. Am Ende zerstochen von zahlreichen Insekten. Ohne Wegweiser auf der Suche nach einem Ausweg, auf der Suche nach einem Weg nach Hause. Und sie überleben.
Voller Leben
Als man sie gefunden hat, sollen ihre ersten Worte gewesen sein: „Ich habe Hunger“ und „Meine Mama ist tot“. Und einer der Retter sagt: „Ich sah ihre Gesichter und Augen voller Hoffnung und ehrlich gesagt, ich sah diese Kinder voller Leben. Ihre Augen leuchteten, waren glücklich und fröhlich“.
Mein Wille zum Leben, er kann so mächtig sein, dass ich Schlimmstes überwinde. Der Psychoanalytiker Viktor Frankl hat in der Nazi-Zeit das Konzentrationslager überlebt. Und er spricht später darüber, was ihm dabei geholfen hat.
Was werden die Kinder wohl einmal erzählen? Wird sie im Nachhinein der Schrecken einholen und ihr großer Mut sie verlassen? Oder wird es sie stark machen, dass sie das alles überlebt haben – und wie sie es überlebt haben?
Wie im Märchen
In der Bibel lese ich öfter von 40 Tagen oder 40 Jahren, in denen Menschen große Strapazen auf sich nehmen müssen, um zu überleben: Mit einer Arche schaukeln sie in Stürmen und bei extremem Starkregen auf den Wellen oder sie ziehen durch die Wüste – ohne Wasser und Nahrung, umgeben von wilden Tieren. Hier ist es Gott, der rettet. Hat er wohl auch die Hand über die Vier im Regenwald gehalten? Hat er den Pumas und Giftschlangen Einhalt geboten? Hat er den Kindern wilde Mango- und Maracujafrüchte geschenkt? Sogar ein Lebensmittelpaket, das die Hubschrauber abgeworfen haben, sollen die Kinder gefunden haben. Ein Spürhund hat die Kinder mit aufgespürt, ist wie in manchen Märchen zum tierischen Helfer geworden, zum Retter.
Staunen steckt an
Die Bibel allerdings ist kein Märchenbuch und das Leben ist kein großes Märchen. Wunder aber, die können wir darin entdecken. Geschichten davon, wie Menschen in großer Not und Gefahr bewahrt werden. Wie sie in sich Kräfte finden, die sie weit über das normale Maß an Anstrengung hinaustragen.
Viktor Frankl zum Beispiel hat die Aussicht, seine Frau und seine Familie nach dem Konzentrationslager wiederzusehen, weit getragen. Was hat die Kinder im Regenwald wohl getragen? Die Hoffnung, den Vater und die Großeltern zu sehen? Oder ein Auftrag der Mutter? Oder ein tiefes Wissen, dass ihre Zeit noch nicht gekommen ist? Oder einfach der pure Lebenswille? Über dieses große Rettungswunder kann man nicht genug staunen. Und über die Stärke dieser Kinder auch nicht. Ihr Lebenswille springt mir aus den Nachrichten entgegen und auf mich über. Und ich spüre, wie ich mich selbst aufrichte und sage: „Gott, danke für mein Leben. Danke, vielleicht hast du noch was mit mir vor. Ich werde nicht so schnell aufgeben. Versprochen. Hilf du mir dann und wann dabei. Amen.“