Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!
Die Sendung zum Nachlesen:
Karneval heißt im Rhein-Main-Gebiet, wo ich wohne, Fastnacht oder Fassenacht. Wer den Rosenmontag hier in der Region so richtig närrisch erleben will, muss nach Mainz fahren. Die Stadt am Rhein ist bereits seit Weiberfastnacht am Donnerstag außer Rand und Band. Wer heute in Mainz vernünftig arbeiten will, ist ein Narr. Denn die Närrinnen und Narren führen das Regiment. Um 11.11 Uhr startet heute der Rosenmontagsumzug auf einer Strecke von über sieben Kilometern mit den politischen Motivwagen, den „Schwellköppen“ – das ist ein Markenzeichen der Mainzer Fastnacht, riesige Charakterköpfe aus Pappmaché -, mit Musikkapellen, Garden und Fahnenträgern.
Fassenacht ist eine ernste Angelegenheit. Das Motto für die Kampagne 2024 hat eine Kommission aus rund 40 Personen der Mainzer Stadtgesellschaft in drei Wahlgängen ausgesucht. Herausgekommen ist das Motto: „Zur Fassenacht lädt Mainz am Rhein die ganze Welt zum Schoppe ein!“ Das beansprucht nicht für sich, den Höhepunkt deutscher Dichtkunst darzustellen. Aber es hat etwas herrlich Entspanntes in dieser krisenangespannten Zeit. Für alle Auswärtigen: „Schoppe“ ist die Mainzer Maßeinheit für einen halben Liter Wein. Dazu lädt Mainz die ganze Welt ein. Weltoffenheit statt miefiges „Wir bleiben lieber unter uns“.
Bei einer meiner ersten Fastnachtssitzungen, die ich in Mainz erlebt habe, war ich erstaunt, wie ein ganzer Saal voller Menschen in Rührung ausbricht bei dem Mainzer Fastnachtslied „Wir alle leben im Schatten des Doms“. Gestandene Mainzer Manns – und Frauenbilder bekommen feuchte Augen, alle haken sich unter, wenn die Kapelle dieses Lied spielt. Auch Nicht-Mainzer wie ich können sich der Emotion nicht entziehen.
Der Refrain geht so: „Wir alle, wir leben im Schatten des Doms, und Gott Jokus singt mit uns ein Halleluja. Wir halten unsere Fahnen schwenkend hoch in den Wind und danken, dass wir Gast auf Erden sind.“
Gott Jokus heißt, der Spaß, der Scherz regiert in diesen tollen Tagen. Alles ist mal ganz anders. Das hat eine spielerische, utopische Kraft. Die Lebenseinstellung in diesem Lied finde ich äußerst sympathisch. „Wir alle leben im Schatten des Doms“ – das schließt alle ein, die sich zugehörig fühlen wollen. Es drückt ein Heimatgefühl aus, das andere nicht abwehrt, sondern einlädt. Der Mainzer Dom ist ein schönes Gotteshaus. Aber es geht nicht allein um die Kirche. Wichtig ist, dass das Leben in der Stadt eine Mitte hat, etwas Gemeinsames, das den Zusammenhalt stärkt, auch wenn natürlich jeder Narr und jede Närrin anders ist.
„Wir halten unsere Fahnen schwenkend hoch in den Wind und danken, dass wir Gast auf Erden sind.“ Der Kirchenliederdichter Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert hätte sich über diese Zeile gefreut. Und der Dichter des Psalms 119 in der Bibel ebenfalls, denn daher stammen diese Worte: „Ich bin ein Gast auf Erden.“ Darin schwingt Wehmut. Gast bedeutet: Meine Zeit auf Erden ist begrenzt. Sie läuft unweigerlich ab, egal wie lang oder kurz sie ist. Ein Bewusstsein für die Vergänglichkeit von allem gehört zur Fastnacht. Denn es ist kein grenzenloses Feiern. Am Aschermittwoch ist alles vorbei, und das ist bereits übermorgen. Man tanzt gegen die Uhr an, wünscht sich, dass es ewig weitergeht, und weiß doch, dass das Ende kommt. So empfinde ich das immer.
„Wir danken, dass wir Gast auf Erden sind.“ Als Gast weiß man zu schätzen, was einem der Gastgeber zugutekommen lässt. Eine Mainzer Freundin, die neben mir stand, als das Lied gespielt wurde, sagte: „Wir benehmen uns oft nicht wie Gäste auf Erden.“ Mitten hinein ins Fastnachts-Helau der Gedanke, dass wir mit der Erde achtsam umgehen, auf der wir leben.
Und schließlich heißt Gast sein: Ich bin willkommen. Ich darf hier auf Erden sein, meine Fahne schwenkend hoch in den Wind halten, dankbar sein für alles Gute in meinem Leben, Helau rufen und Halleluja singen. Halleluja bedeutet übersetzt: Lobt Gott!
Es gilt das gesprochene Wort.