Trübe Novemberstimmung. Nicht nur wegen des Wetters. In vielen drängenden Fragen ist ungewiss, wie es weitergeht. Da tut die Orientierung gut, die Margot Friedländer mit ihrer Geschichte und ihrer Botschaft gibt.
Sendung zum Nachlesen:
O-Ton Margot Friedländer:
Ich glaube an den Menschen. Ich denke immer, der Mensch – basicly – ist gut. Und ich hoffe, dass ich damit Recht habe.
Sagt die Jüdin Margot Friedländer. Doch wer ihre Geschichte hört, kann daran Zweifel haben. Es ist ein kalter Januartag 1943 in Berlin. Margot Bendheim, wie sie damals heißt, ist auf dem Heimweg in die Skalitzer Straße 32. Die jüdische Familie hat Vorbereitungen getroffen für ihre Flucht. Doch als Margot ankommt, sind ihr Bruder Ralph und ihre Mutter schon nicht mehr da.
O-Ton Margot Friedländer:
"Versuche, dein Leben zu machen" waren die Worte meiner Mutter, die sie mir hinterlassen hat.
Nach über 60 Jahren kehrt Margot Friedländer nach Berlin zurück. "Versuche, dein Leben zu machen", diese Worte ihrer Mutter, werden zum Titel für ihr Buch. Darin erzählt sie ihre Geschichte. Damals, 1943, taucht sie unter - mitten in Berlin - lässt sich die Haare rot färben, nimmt den Judenstern ab und trägt fortan eine Kette mit einem Kreuz. Erst kurz vor Kriegsende wird sie gefasst. Sie überlebt. 1946 emigriert sie mit ihrem Mann Adolf Friedländer nach New York. Jahre und Jahrzehnte vergehen. Nach dem Tod ihres Mannes findet sie wieder Zugang zu ihren Gedanken und Gefühlen von damals.
O-Ton Margot Friedländer:
Als ich eines Abends nicht einschlafen konnte, hab ich mir gesagt: Ich hab wirklich mehr zu sagen. Hab mir Bleistift und Papier ins Bett genommen und habe meine erste Geschichte geschrieben.
So schreibt sie Woche für Woche eine neue Episode.
O-Ton Margot Friedländer:
Angefangen von dem Tag des Untertauchens bis zu dem Tag, wo wir nach Amerika gekommen sind, damit hab ich aufgehört.
Ihr Buch wird ausgezeichnet, und das Fernsehen sendet einen Dokumentarfilm. Längst ist Margot Friedländer eine gefragte Zeitzeugin. Sie liest und diskutiert in Buchhandlungen, Schulen und Kirchen. Unermüdlich mahnt sie, wohin Hass und Ausgrenzung auch heute führen. Immer wieder trägt sie ihre scheinbar einfache Botschaft vor: Sei ein Mensch!
O-Ton Margot Friedländer:
Es gibt mir die Möglichkeit, etwas zu tun, was uns ja nicht mehr lange gegeben ist. Ich meine, wie lange kann ich’s noch machen?
Am 5. November ist Margot Friedländer 103 Jahre alt geworden. Vor wenigen Tagen hat das Jüdische Museum Berlin die Holocaust-Überlebende mit dem "Preis für Verständigung und Toleranz" geehrt. Margot Friedländer engagiere sich als Zeitzeugin trotz ihres hohen Lebensalters "mit schier unfassbarer Kraft gegen Hass und Ausgrenzung", heißt es in der Begründung.
"Versuche, dein Leben zu machen." Manchmal frage ich mich, wie das geht, wenn andere über dein Leben bestimmen und wenn du von Verfolgung und Gewalt betroffen bist.
O-Ton Margot Friedländer:
Es gehört Kraft dazu, es gehört Mut dazu. Da ich es überlebt habe, fühle ich eine absolute Verpflichtung, als Überlebende etwas zu tun, um den Menschen zu sagen, was Menschen sein sollen. Das ist: Versuche, dein Leben zu machen. Versuche, es zu machen als guter Mensch.
Dieser Glaube an das Gute im Menschen beeindruckt mich. Kann man nach einer solchen Geschichte eigentlich noch an Gott glauben? Für Margot Friedländer ist die Antwort ganz einfach.
O-Ton Margot Friedländer:
Ich glaube, ich habe an Gott festgehalten. Ich bin unbedingt gläubige Jüdin, ich will auch nichts anderes sein. Trotzdem glaube ich, dass wir alle denselben Gott haben. Es ist ja ganz egal, solange wir gute Menschen sind. Mein Vater hat schon immer gesagt: fromm sein heißt gut sein.
In diesen Tagen gerät so vieles ins Rutschen. Freiheit und Demokratie werden offen angegriffen. Populistische Parteien sind auf dem Vormarsch. Menschen jüdischen Glaubens fühlen sich nicht mehr sicher. Und mittendrin leuchtet diese kleine, zierliche Frau, Margot Friedländer, 103 Jahre alt, mit ihrer klaren Haltung und ihren klaren Worten. Sie macht mir Mut. Denn das will ich auch: An Gott festhalten. Und Mensch sein.
Es gilt das gesprochene Wort.
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!