Morgenandacht
Citizenfour
11.02.2015 05:35

Prophet, das ist kein Job wie jeder andere. Man handelt sich eine Menge Ärger ein und die Lebenserwartung von Propheten ist sehr begrenzt. Man erregt zwar Aufmerksamkeit, vor allem aber wird man gehasst, besonders von den Leuten, denen man eigentlich etwas mitteilen möchte.

 

Kannte Edward Snowden die biblischen Propheten, als er sich auf seinen gefährlichen Weg machte? Ihre Biografien hätten ihm eine Warnung sein können. Der Prophet Amos beispielsweise bekam Berufsverbot und musste ins Exil, Jeremia wurde verschleppt und der Überlieferung nach gesteinigt, von Jesaja erzählt die Legende, dass er zersägt wurde.

 

Wie gehen wir mit Leuten um, die heute ihren Finger in die Wunde legen? Stellen wir uns ihren Fragen, versuchen wir sie loszuwerden, uns vom Hals zu halten?

 

Niemand würde Edward Snowden einen Propheten nennen, man bezeichnet ihn als „Whistleblower“. Wörtlich übersetzt ist das jemand, der in die Pfeife bläst, meist wird dieser Begriff mit dem Wort „Hinweisgeber“ übersetzt. Doch das ist schon wieder sehr nahe am Profil des klassischen Propheten. Ein Prophet will auch nichts anderes sein als ein „Hinweisgeber“. Er will den Willen Gottes unter die Leute bringen, er will sie warnen, wenn sie sich auf Abwegen befinden, er versucht, sie wieder auf die richtige Spur zu bringen. Snowden geht es nun nicht darum ein prophetisches Gotteswort zu verkünden, aber auch seine Botschaft zielt aufs Ganze. Auch er will sein Volk davor warnen, in den Abgrund zu rennen.

 

Zum Jahreswechsel lief der Film „Citizenfour“ in den Kinos. Dieser Streifen dokumentiert Szene für Szene die Aktionen, mit denen Edward Snowden weltweit Aufsehen erregte. Er hat es zwar nicht als Gotteswort bezeichnet, was ihn auf den Weg brachte. Aber es war der von seinem Gewissen ausgelöste Impuls, all das an die Öffentlichkeit zu bringen, was er in seinem Job als Zuarbeiter für die NSA erfahren hatte.

 

Was ist das für ein Mann, der das tut? Diese Frage will der Dokumentarfilm von Laura Poitras beantworten. Zusammen mit Glenn Greenwald begleitet sie Edward Snowden auf seinem Weg in den Untergrund, beziehungsweise in die weltweite Popularität, je nachdem wie man es betrachtet.

 

Als IT-Spezialist hat Snowden miterlebt wie die NSA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 immer mehr Kompetenzen an sich gezogen hat. Wie der Geheimdienst mit seiner elektronischen Überwachung ein Netz über die ganze Welt legte, um alle verdächtigen Daten abzuschöpfen und auszuwerten. Darin aber sieht Snowden eine Gefahr. Für die Freiheit des Einzelnen genauso wie für die Grundlangen der westlichen Demokratie. Weil am Ende niemand mehr das grenzenlose Abschöpfen und Verknüpfen der Datenströme steuern kann.

 

„Citizenfour“ ist der Codename unter dem Snowden die Veröffentlichung seines Geheimmaterials organisiert. Mit einem Interview in einem Hotelzimmer in Hongkong setzt der Film ein. Und schnell ist man mittendrin. Der Telefonstecker wird gezogen, die Verschlüsselung des Computers wird überprüft, die Regeln der Kommunikation werden verabredet.

 

Snowden wirkt sehr jung und strahlt nichts Heldenhaftes aus, er klagt über seine Appetitlosigkeit und die Ängste, die ihn plagen. Er spricht aber auch über seine Entschlossenheit und über die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit vor dem staatlich organisierten Datenmissbrauch zu warnen. Zur Zeit lebt Snowden mit seiner Freundin im russischen Exil. Ob sein Leben ein tragisches Ende findet wie das vieler „Hinweisgeber“ in der Bibel ist noch nicht ausgemacht.

 

Immerhin hat sich Edward Snowden mit seinem Bekennermut auch Freunde gemacht. So verkündet der Aufkleber an der Tür meines Nachbarn, dass ein Bett für ihn frei sei!

 

Nachdem ich diesen anderthalbstündigen Film gesehen habe, würde es auch mir nicht schwerfallen, ihm Quartier anzubieten. Propheten verdienen unseren Schutz, damals und heute.