Ein alter Mann schreibt seine eigene Todesanzeige. Mit diesem harten Mittel will er erreichen, dass seine vielbeschäftigten Kinder ihn an Weihnachten besuchen kommen. Und über 30 Millionen schauen zu und sind gerührt. Ich auch. Die Botschaft dieses Werbespots einer Supermarktkette: Es gibt ein zu Spät. Nutze die Zeit, die du hast. Und die Botschaft kommt an, denn es ist Advent. Jetzt sind die Herzen offen für Gefühle.
Ich stelle mir vor, die Teilnehmenden der Weltklimakonferenz hätten aus Paris solche Todesanzeigen an uns verschickt. Gestorben: Unsere Erde. Weil wir vor lauter anderen Dingen leider vergessen haben, uns um sie zu sorgen, als noch Zeit dafür war. Auch hier die Botschaft: es gibt ein zu Spät. Wie viele Menschen wären davon gerührt oder erschüttert oder würden aufwachen? Weniger, viel, viel weniger glaube ich.
Und das obwohl Advent ist. Wenn es Mitfühlen und Mitleiden gibt, dann jetzt. Aber bei den katastrophalen Aussichten für unsere Erde fühlen wir anscheinend fast nichts
Von überall her kommen Mahnungen und Warnungen: Wenn wir uns nicht schleunigst dran machen den CO2-Ausstoß weltweit zu verringern, sieht es schlecht aus. Wissen wir. Schon gibt es Millionen von Klimaflüchtlingen – sie fliehen vor Trockenheit, oder: vor Überschwemmungen. Wissen wir. Das Klimaproblem ist global, da es der Atmosphäre egal ist, wer wo die Schadstoffe ausstößt. Wissen wir auch.
Aber: Der alte Mann im Werbespot rührt (!!) ungleich mehr an. Auch ich habe eine Familie und die Werbeagentur weiß, wie verwundbar oder auch verwundet das Verhältnis zu den Eltern oder den Kindern sein kann.
Das Klima ist dagegen – vorerst – eine abstrakte Größe. Hat mit mir und meinem persönlichen Leben nichts zu tun. Wir sind anscheinend erst dann bereit, etwas an unserem Lebensstil zu ändern, wenn es uns selbst an den Kragen geht.
Jetzt im Advent wäre eine Zeit des Innehaltens, des Hinhörens. Hinfühlen: Nicht nur auf das, was mein unmittelbares Umfeld betrifft. Hinhören: auf Gott, der uns eine Welt verspricht, in der alles aufeinander bezogen und miteinander im Einklang ist. In der für alle Menschen auf dieser Erde gilt: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“
Aber es ist noch nicht gut, solange wir nicht das Wohlsein aller im Blick haben. Es reicht nicht, dass meine ganze Familie an Weihnachten unterm Weihnachtsbaum versammelt ist. Wenn ich mich öffne für das, was in dieser Welt nicht stimmt, geht das an meine Komfortzone. Es geht um meinen Lebensstil. Das ist die Botschaft Gottes im Advent: Es ist Zeit, hinzuhören. Genau hinzufühlen. Und dein Leben zu ändern. Jetzt. Weil es einen Moment geben wird, in dem es zu spät ist.
Ist das zu viel verlangt? Mitgefühl für alle, bis auf die entlegenste Pazifikinsel und auch für die, die nach uns kommen? Ja, das ist viel. Aber genau das traut uns Gott zu, weil wir das können – auch und besonders jetzt im Advent: Das Ganze im Blick haben. Über uns hinaus denken und fühlen, auch wenn das anstrengend ist und die Adventsromantik trüben könnte. Das ist die Kraft des Glaubens: mehr von der Welt zu erwarten, als ich eigentlich für möglich halte.
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)