Morgenandacht
Kalenderbuch
30.12.2015 05:35

„Wie, Sie führen noch einen richtigen Kalender?“ Diese Frage begegnet mir immer wieder, wenn ich zum Festhalten von Terminen mein DIN-A5-großes Buch hervorhole. Zugleich komme ich nicht ohne den Kalender im Smartphone aus. Und doch will ich meinen Kalender auch weiter in Buchform führen.

 

Denn es ist für mich etwas Besonderes, am Jahresende das neue Buch zu füllen. In manchen Monaten sind die Einträge bereits so umfangreich, dass ich schon jetzt weiß: das wird wieder eng. Manche Einträge lassen die Vorfreude wachsen auf das, was kommt.

 

Den abgelaufenen Kalender lege ich nicht gleich weg. Ich blättere durch die Wochen des vergangenen Jahres. Eine gute Übung, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Was hatte ich nicht alles schon vergessen. Gespräche, Veranstaltungen – sorgfältig vorbereitet, wunderbar gelungen. Und natürlich auch die Momente des Scheiterns, trotz bester Vorbereitung, oder auch Begegnungen, die unangenehm in Erinnerung bleiben.

 

Was bleibt von diesem Jahr? Und: War es gut oder schlecht? Oder irgendetwas dazwischen? Ich wehre mich, wenn ein positiver Rückblick gleich mit „Verklärung“ abgetan wird. Ich halte die Mahnung aus dem 103. Psalm für berechtigt: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Mal ehrlich: Wie oft betrachte ich das Gelungene und Schöne als ganz selbstverständlich. Dann setzt sich das Schwierige im Gedächtnis fest und trübt meinen Blick zurück.

 

Dagegen helfen mir Zitate und Begriffe, die ich über das Jahr hinweg sammle. Ich notiere sie in meinem Kalenderbuch, weil mir in ihnen ein Stück Lebensweisheit begegnet. Und ich verstehe sie als Kommentare zu dem, was ich erlebe. Mal bestätigend, mal ermutigend, auch als Kritik. Am Jahresende, wenn ich sie am Stück lese, erinnern sie mich, das Gute nicht zu vergessen. Und es so hinüber zu retten in das neue Jahr. Kein Termin, den ich einhalten muss, auch keine Aufgabenliste. Aber Begriffe wie eine Brille, die meinen Blick für das nächste Jahr schärft.

 

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ An das Psalmwort habe ich mir ‚Dankbarkeit‘ geschrieben: Martin Luther nennt Dankbarkeit „die wesentliche christliche Haltung“. Dankbarkeit Gott und den Menschen gegenüber. Wer dankbar ist, erkennt an, dass er oder sie nicht alles allein tun kann. Wer glaubt, alles sei „selfmade“, ignoriert den Anteil, den er anderen verdankt. Menschen sind „Godmade“, so hat es der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, ausgedrückt. Und wie viel verdanken wir Menschen unseren Mitmenschen. Viele Studien belegen, dass dankbare Menschen glücklicher sind, weniger stressanfällig, weniger depressiv, ein größeres Selbstwertgefühl haben – und zufriedener sind mit ihrem Leben. Ich muss da noch an mir arbeiten.

 

Mit der Zeit hat sich an dem Psalmwort in meinem Kalender eine ganze Begriffswolke gebildet. Nächstenliebe steht da und ich denke darüber nach: Wer dankbar sein kann, für das was er hat, kann leichter teilen mit denen, die weniger oder gar nichts haben. Die Nächstenliebe sieht, was der andere braucht. Dazu gehört auch die Bescheidenheit: Genügsam sein. Mit „genug“ zufrieden sein. Und deshalb vergnügt leben können.

 

Auch Treue steht da: Und meint Ehrlichkeit in den kleinen und in den großen Dingen. Verlässlichkeit und Loyalität. Und Vertrauen – den wohl wichtigsten Wert des Zusammenlebens in den Familien, in einer Gesellschaft.

 

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Je länger ich über das Psalmwort nachdenke, desto mehr finde ich: Es geht nicht allein um den Rückblick auf das Vergangene. Die Dankbarkeit Gott gegenüber hat Einfluss auf den Umgang mit meinen Mitmenschen. Und sie ist mehr als ein guter Vorsatz, den ich im neuen Jahr beherzigen kann oder auch nicht. Dankbarkeit Gott gegenüber ist eine Haltung, aus der das alles erwachsen kann. Darauf will ich vertrauen. Und habe schon einen Grund mehr, Gott dankbar zu sein.