Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
es war kurz nach dem Attentat im Zug bei Würzburg.
Da stand ich am Hauptbahnhof in Hannover und wartete auf die Regionalbahn nach Hause. Die Bahn fuhr ein. Die Menschentrauben bewegten sie auf die Türen zu. Auch eine Polizistin war darunter. Ich hatte sie vorher nicht gesehen. Doch nun stieg ich in den Wagen ein, in den auch sie einstieg.
Als ich drin saß, fragte ich mich: Warum hast du das so gemacht? Was hat dich geleitet? Und ich musste mir selbsteingestehen: Es war das Gefühl „So bin ich vielleicht sicherer. Wenn was passiert. Wenn dann die Polizei in der Nähe ist.“
Schlag auf Schlag lösen die Bilder sich ab zur Zeit. Von Schrecken und Tod und Tränen und Blut. Es ist überall Ferienzeit, wir haben Sommer. Und in der Zeitung las ich - es ist der „Summer of Hate“, der Sommer des Hasses. Gewalt folgt auf Gewalt folgt auf Gewalt folgt Gewalt.
„Wo soll das noch hinführen?“ - „In so eine Welt kann ich doch keine Kinder setzen! Oder?“ Solche Stimmen höre ich. Und ich habe selbst manchmal Tränen in den Augen.
Auch wenn Faktenchecks erklären, die Wahrscheinlichkeit Opfer zu werden, ist gering – es werden Menschen Opfer.
Die Angst kommt näher. Und Menschen erzählen mir von ihrer Angst:
„Ich habe zwei Kinder. Ich meide jetzt Stadtzentren. Und auch zu Großveranstaltungen geh‘ ich nicht mehr.“ Sagt eine Frau in meiner Gemeinde zu mir. Nach München.
„Wenn ich jetzt jemanden sehe, der ausländisch aussieht und einen Rucksack trägt, dann hab‘ ich den Impuls, in die andere Richtung zu gehen.“ Sagt ein Mann zu mir. Nach Ansbach.
„Müssen wir uns jetzt schützen, wenn wir Gottesdienste feiern?“ Fragt ein Kollege. Nach der Ermordung des Priesters in Frankreich.
Angst greift um sich. Unsicherheit und Misstrauen lenken das Handeln.
Und das - schützt uns. Bis zu einem gewissen Grad.
Der Volksmund spricht nicht ohne Grund von „gesunder Vorsicht“ oder „gesundem Misstrauen.“ Bis zu einem bestimmten Punkt kann Angst schützen. Dies Gefühl liegt tief in uns. Seit Urzeiten. Damit wir leben. Überleben.
Aber wenn Angst und Vorurteile uns beherrschen, ist das gefährlich und lähmt.
Es braucht auch: Mut, den Mut, sich seines Verstandes zu bedienen.
Den wir haben.
Gott-gegeben.
Solchen Mut, der sich mit dem Verstand paart, nennt die Bibel „Besonnenheit“.
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den (...) der Besonnenheit.“ Heißt es da.
Ich glaube, solche Besonnenheit hilft, die eigenen Emotionen zu prüfen. Es geht nicht darum, die Angst aufzulösen. Sondern darum, sie klar zu sehen. Und manchmal dann auch bewusst gegen sie zu handeln.
Das braucht Zeit. Und Übung. Ehrlich zu sein. Sich selbst gegenüber.
Und viele Christen machen die Erfahrung: Gott hilft dabei.
Er gibt „den Geist der Kraft und Liebe und Besonnenheit.“
Wenn wir die Angst beherrschen, bleibt unsere Gesellschaft offen und bleiben wir frei: Für die Möglichkeiten dieser Welt. Und füreinander. Und die Zukunft.
Ich bin weiterhin traurig. Und denke an die Toten und Trauernden.
Und ich liebe weiterhin die Freiheit.
Darum gehe ich weiterhin in die Stadtzentren. Und fahre Bahn. Feiere Gottesdienste mit meiner Gemeinde. Und grüße weiterhin die Flüchtlinge, die bei uns im Ort leben.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)