Politisch gewusst habe ich das immer schon. Immerhin bin ich über 60, also damit aufgewachsen: Die deutsch-französische Freundschaft ist fundamental für Europa. Wenn sie zerbricht, politisch und sogar kulturell und menschlich, dann zerbricht dieses Europa, das zum ersten Mal auf Frieden gebaut ist.
Als Kind habe ich es in den Nachrichten erlebt: De Gaulle und Adenauer haben es geschafft, die Erzfeinde Deutschland und Frankreich politisch zu versöhnen. Das hat schon immer mein politisches Bewusstsein geprägt.
Aber vor 3 Wochen hat mir dieses Versöhnt-Sein ein Franzose noch einmal so richtig mit Leben gefüllt. Der Präsident der Protestantischen Kirchen in Elsass und Lothringen hat mir von sich und seiner Familiengeschichte erzählt. Christian Albecker und ich sind ein Jahrgang. Er stammt aus Straßburg und lebt dort. Elsässer, wie seine Familie seit Generationen. Sie waren oft dazwischen. Sprachlich immer noch ein wenig, bis heute:
„Wie spreche ich Ihren Namen ‚richtig‘ aus?“ habe ich ihn gefragt. „Christian Albecker“ (elsässisch gespr.), hat er geantwortet. „Sie dürfen aber auch gern „Albecker“ (dt.)sagen. Für uns Elsässer ist das normal. Kaum einer spricht seinen Namen „rein“ französisch aus. Sonst müsste es ja ‚Albecker‘ (albecké) heißen.“
Und dann hat er mir von seiner Urgroßmutter erzählt. Wie viel Leid dieses „dazwischen sein“ bedeutet hat. 5 mal hat sie die Nationalität wechseln müssen bzw. sollen. Und jedes Mal waren diese Wechsel verbunden mit Kriegen. Als Französin geboren, wurde sie 1870 deutsch. Nach dem 1. Weltkrieg wieder französisch. 1939/40 unter Nazideutschland sollte sie wieder deutsch werden. Bevor es dazu kam, hat man sie als alte Frau, im Rollstuhl, evakuiert, in die Gegend von Bordeaux. Dort waren sie Flüchtlinge und nicht willkommen. „Ihr wollt Landsleute sein, dabei sprecht ihr nicht einmal französisch“, haben die Einheimischen ihr vorgehalten.
Für Christian Albecker gibt es nur ein mögliches Fazit, hat er gesagt. Gerade auch aus seiner Familiengeschichte:
„Die Folgen des Krieges und des Nationalismus damals waren furchtbar für unsere Region. Wegen dieser Geschichte müssen wir unbedingt die deutsch-französische Freundschaft und den Frieden fördern.“
Und daran arbeitet er als protestantischer Christ und Präsident der evangelischen Kirchen in seiner Region. Gerade Christen wie sich und mich sieht er in der Pflicht, alles zu tun, dass Nationalismus keine Chance bekommt. Nationalismus darf nicht wieder zum Gift werden, das Menschenleben in Mitleidenschaft zieht.
Wie gesagt: Politisch gewusst habe ich das immer schon. Aber die Begegnung mit dem französischen Kollegen hat mir das noch einmal menschlich ganz nah gebracht:
Die deutsch-französische Freundschaft und ein politisch versöhntes Europa sind nichts Beliebiges. Man kann Versöhnung und Freundschaft nicht einfach machen oder auch bleiben lassen. Das versöhnte Europa erneut durch Nationalismus zu zerbrechen - das wäre nicht nur politisch falsch. Es hieße auch, sich wieder an den Menschen zu vergehen. So wie der Nationalismus sich an Christian Albeckers Urgroßmutter vergangen hat. Und vielen anderen Millionen. Links und rechts des Rheins.
Es klingt so harmlos und verspielt: „Brexit, Grexit, Frexit.“ Es sind üble Spiele, die da gespielt werden und üble Spieler, die sie spielen. Sie spielen mit Menschen. Christen können da nicht mitspielen.
Paulus der Apostel hat schon vor 2000 Jahren als fundamentale Aufgabe für Christen formuliert, „im Namen Jesu Christi Versöhnung zu predigen.“ Also Grenzen zu überwinden, Brücken zu bauen. Zu versöhnen, wo Menschen scheinbar unversöhnliche Gegensätze zwischen Menschen aufblasen.
Ich finde, der elsässische Protestant Christian Albecker hat recht, wenn er nicht nur uns Christen ins Stammbuch schreibt: Die Folgen des Nationalismus sind und wären furchtbar. Wir müssen unbedingt die deutsch-französische Freundschaft und den Frieden fördern.