Sendung zum Nachlesen
Endlich ist die Berliner Gemäldegalerie wieder auf! Nach Monaten der visuellen Fastenzeit können wir dort endlich wieder etwas sehen. Zwar noch mit Zeitfenster. Aber immerhin. Ich habe mir kurz vor Pfingsten gleich eins besorgt, weil ich mir normalerweise immer zwischen Himmelfahrt und Pfingsten eines meiner Lieblingschristusbilder anschaue: Die "Himmelfahrt Jesu" gemalt von einem anonymen niederländischen Maler um das Jahr 1520.
Das Bild fasziniert mich so, weil es Jesus eigentlich gar nicht zeigt, sondern nur seine Füße… - Das Bild zeigt eine grüne Landschaft mit Hügeln, Häusern und Bäumen, einen mit Wolken übersäten Himmel – und am oberen Bildrand, kurz unter der Wolkendecke zwei schöne nackte Füße. Mehr nicht. Unten steht noch ein Grüppchen und reckt mit fragenden Blicken die Köpfe: "Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel?"
Das Bild ist nicht nur lustig. Es ist auch interessant. Denn es führt uns eine kleine Revolution vor Augen: Jesus von Nazareth verschwindet vor den Augen seiner Weggefährten und ist von nun an nicht mehr als ein bestimmter historischer Mensch erfahrbar, sondern fortan in der Gegenwart seines Geistes. Nach Himmelfahrt kommt Pfingsten. Und Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Und der ist unsichtbar: Eine unsichtbare Kraft, eine Dynamik, die ganz un-terschiedliche Gestalten annehmen kann.
Das ist nicht unerheblich. Denn es macht schon einen Unterschied, ob ich mich mit Blick auf mein Christusbild auf meine Augen verlasse oder auf meine inneren Bilder, meine Vorstel-lungskraft. Wie bei Paulus etwa: Der hatte Jesus von Nazareth nie mit eigenen Augen gesehen und war trotzdem der Meinung, dass er ihn von ganz Nahem kannte – durch das Wirken des Geistes. Der Kreis der Augenzeugen um Petrus, die Jesus aus eigener Anschauung kannten, war davon gar nicht so begeistert. Sie hatten das Gefühl, näher dran gewesen zu sein als alle anderen. Zumal sich mit der neuen Christusbekanntschaft des Paulus eine ganz neue Gemein-de formte: Nun konnten auch die dazugehören, die außerhalb der ursprünglichen Christusge-meinschaft, der Gemeinschaft der Augenzeugen, aufgewachsen waren.
Den Augen oder dem Herzen trauen? Welche Kraft haben die inneren Bilder; welche Wahrheit transportieren sie? – Das sind die Fragen, die sich seit Himmelfahrt und Pfingsten stellen – und die uns Nachgeborenen den Blick weiten können für immer neue Christusbilder.
Es gilt das gesprochene Wort.