Heimat
21.03.2019 06:35
Sendung zum Nachlesen

Ich komme nach Hause. Schließe die Wohnungstür auf und hinter mir wieder zu. Ein gutes Gefühl. Hier gehöre ich her. Hier habe ich Ruhe. Ich kann bleiben, ohne zu fragen. Zu Hause.

Als ich ein Kind war, erzählten meine Eltern öfter von "Zuhause". Doch da meinten sie nicht unsere Wohnung oder die Stadt, in der wir wohnten. Sie sprachen dann von ihrer Heimat, und die war weit weg. Vor meiner Geburt waren sie als Flüchtlinge aus Pommern ins Rheinland gekommen. Hier lebten sie jetzt, hier wuchsen wir Kinder auf. Aber mit ihren Herzen waren sie immer noch woanders "zu Hause". Ich hörte ihnen gerne zu, wenn sie von ihrer Heimat erzählten. Das fühlte sich heimelig an und war zugleich weit weg. Heimat schien mir eher eine Sehnsucht als ein realer Ort.

In letzter Zeit ist viel von Heimat die Rede. In Leitartikeln, Talkshows, Filmen. Eine Rückbesinnung, so scheint es, auf etwas, was bedroht ist. Sogar ein Heimatministerium wurde geschaffen. Manchmal frage ich mich: Was bedeutet denn Heimat, und wo ist sie für mich? Ich bin in meinem Leben so oft umgezogen, mehr als ein Dutzend Mal. Viele schöne Erinnerungen verbinde ich mit Orten, wo ich gelebt habe, nicht nur in meiner Kindheit. Da sind die Häuser, in denen ich gewohnt habe. Hier habe ich studiert. Dort haben wir uns kennen gelernt. Und dann sind da die Menschen, mit denen ich verbunden bin und bleibe: meine Familie, meine Freunde. Schön, wenn ich wieder zurückkommen kann. Die vertrauten Stimmen, Klänge, Gerüche: Ist das nun Heimat?

Ich vermute, wie mir geht es vielen Menschen. Wir sind so mobil und können an vielen Orten leben und arbeiten, vielleicht sogar zu Hause sein. Doch die Welt um uns herum verändert sich rasant. Wirtschaftlich ist die ganze Welt in Verbindung. So viele Menschen verlassen ihre Heimatländer, aus vielen Gründen, sind unterwegs über Grenzen hinweg und suchen woanders ein neues Zuhause. Und die digitale Revolution verändert so viele Lebensbereiche von Grund auf. Das sind tiefgreifende Veränderungen, die bedrohlich wirken für viele Menschen. Und sie selbst fühlen sich dann fremd in einer ehemals vertrauten Welt. Wahrscheinlich entsteht genau daraus dieser neue Wunsch nach Heimat.

Ich kenne das auch: manchmal sehne ich mich nach einer Welt, in der ich mich auskenne; die überschaubar ist und Bestand hat.  Dann beneide ich den Freund, der noch immer dort lebt, wo er geboren ist. Er scheint alle Menschen in seinem Dorf zu kennen, ist mit den meisten per Du, und wenn er im Dialekt mit ihnen redet, verstehe ich nur die Hälfte. Doch dann sagt er mir: Bilde dir bloß nicht ein, dass hier die Zeit stehenbliebe. Wir haben hier keinen Bäcker mehr, die letzte Kneipe hat gerade zugemacht. Und auch zur Kirche fahren wir in ein ganz anderes Dorf.

Nein, die Zeit bleibt nicht stehen. Auch Heimat verändert sich, wie alles andere. Sie ist keine Idylle, die wir bewahren können, indem wir uns abschotten gegen Neues und gegen die Menschen, die aus einer anderen Heimat kommen.

In der Bibel finde ich ein anderes Konzept. Der Apostel Paulus schreibt: "Unsere Heimat aber ist im Himmel" (Phil. 3,20). Der Himmel Gottes als Heimat – da öffnet sich ein weiter Horizont. Nicht in meiner kleinen, vertrauten Herkunft, nicht in einer schön verklärten Vergangenheit besteht meine Heimat. Das sind nur vorläufige Prägungen. Ich habe noch tiefere Wurzeln. Als Geschöpf Gottes habe ich meinen Halt in seiner größeren Wirklichkeit. Wenn ich unter Gottes weitem Himmel Heimat habe, dann verbindet mich das mit allen anderen Gotteskindern. So bin ich frei, mich dafür einzusetzen, dass diese Erde ein Zuhause wird für alle Menschen. Und es lässt mich hoffen auf die zukünftige Heimat, die noch kommt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.