Miteinander statt gegeneinander
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Jost Mazuch
01.11.2019 06:35
Sendung zum Nachlesen

In dieser Woche gibt es in Deutschland zwei gesetzliche Feiertage. In fünf Bundesländern wird heute Allerheiligen gefeiert, in neun anderen war gestern Reformationstag. Diese Unterschiedlichkeit, die man ausländischen Gästen nur schwer erklären kann, ist eine Folge der konfessionellen und politischen Entwicklungen der vergangenen 500 Jahre. Evangelisch geprägte Länder haben das Reformationsfest, mehrheitlich katholische das Allerheiligenfest.

Dabei hängen beide Feste ursprünglich zusammen. Das Reformationsfest erinnert an die 95 Thesen über Ablass und Buße, die Martin Luther der Überlieferung nach am Abend vor dem Allerheiligenfest 1517 in Wittenberg an die Kirchentüren angeschlagen hat. Ein starkes Bild, das später symbolträchtig den Beginn der großen Veränderungen in der Reformation markieren konnte. So wurde aus dem Tag vor Allerheiligen der Reformationstag.

Das Allerheiligenfest, das bereits seit dem 8. Jahrhundert gefeiert wurde, ist ein Gedenktag für alle Heiligen, denen kein eigener Tag gewidmet ist. Und zwar nicht nur für die in der katholischen Kirche ausdrücklich Heiliggesprochenen, sondern für alle Frauen und Männer, die als Vorbilder im Glauben und im Leben weiterwirken. In der Sprache der Bibel sind sogar alle Glaubenden Heilige; Menschen wie du und ich, von Gott heiliggesprochen, sozusagen. Niemand soll vergessen sein; niemand geht verloren. In diesem Sinn spricht das Apostolische Glaubensbekenntnis von der "Gemeinschaft der Heiligen". Die wird Allerheiligen betont.

So wurde das Fest in den lutherischen Kirchen auch nicht komplett abgeschafft, doch es wird nur noch selten gefeiert. Lieber betonte man in der Vergangenheit die konfessionellen Unterschiede: In den evangelischen Kirchen sang man am 31. Oktober kräftig "Ein feste Burg ist unser Gott", und die Katholiken beteten am nächsten Tag ihre Allerheiligenlitanei. Die christlichen Konfessionen feierten lange nicht nur getrennt, sondern oft auch gegeneinander.

Solche konfessionellen Fronten sind längst überholt, und aus dem Gegeneinander der Konfessionen hat sich an vielen Orten schon lange ein gutes und selbstverständliches Miteinander entwickelt. So wurde gestern in vielen Gemeinden ökumenisch verbunden der Reformationstag gefeiert.

Reformation heißt Veränderung. Wenn die Welt sich verändert und die Fragen und Probleme der Menschen sich ändern, dann muss auch die Kirche nach neuen Antworten suchen. Große Veränderungen stehen an, nicht nur in den Kirchen. Viele Menschen spüren das und wollen etwas tun. Die ökologischen Probleme und die drängenden Gerechtigkeitsfragen gemeinsam anzugehen, das ist eine wahrhaft reformatorische Aufgabe, über Grenzen hinweg.

Für mich ist ein gutes Beispiel dafür die Amazonassynode der katholischen Kirche, die am letzten Sonntag in Rom zu Ende ging. Drei Wochen lang hatten dort Bischöfe, Ordensleute und Experten aus dem Amazonasbecken in Südamerika über brennende Fragen dieser Region gesprochen. Wenn dort Rohstoffvorkommen wie Gold, Kupfer oder Öl ausgebeutet werden, wenn der Regenwald durch riesige Soja-, Zuckerrohr- oder Palmölplantagen ersetzt wird, dann leiden vor allem die indigenen Völker darunter. Häufig werden sie von ihrem angestammten Land vertrieben, und ihre Umwelt wird rasant zerstört. Viele Menschen dort fühlen sich alleine gelassen und wünschen sich von der Kirche eine starke seelsorgliche und politische Unterstützung.

Zugleich steht in der Amazonasregion für die Welt im Ganzen ökologisch viel auf dem Spiel. Wenn die Regenwälder dort weiter zerstört werden, wirkt sich das weltweit aus, mit katastrophalen Folgen für das Klima. Auf der Amazonassynode wurde es wieder deutlich: Diese großen Fragen brauchen eine Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens, über Ländergrenzen und über religiöse Unterschiede hinweg. Nur gemeinsam können wir das Notwendige ändern: im Lebensstil und in der Wirtschaft. Der Reformationstag steht für Veränderung, Allerheiligen für Verbundenheit – die zwei Feiertage sind nah beieinander, zeitlich und inhaltlich: Gut, sie zusammen zu sehen. Und wo es geht, auch gemeinsam zu feiern.

 

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Es gilt das gesprochene Wort.