… dass die Kinder mit Vergnügen und Spiel lernen können
Gedanken zur Woche von Pfarrer Jost Mazuch
29.09.2023 06:35
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Sendung zum Nachlesen:

Es ist fast 500 Jahre her, da schrieb Martin Luther einen Brandbrief. Er wandte sich an die Bürgermeister und Ratsherren der deutschen Städte. Seine dringende Aufforderung: Sie sollten die Schulen im Land verbessern. Die Schulbildung war damals, um das Jahr 1524, vernachlässigt und auf ein sehr niedriges Niveau gesunken.  Eine Schule für alle Kinder gab es noch nicht, und die Lehrpläne und Methoden der mittelalterlichen Lateinschulen und Universitäten waren veraltet. Darum schrieb Luther an die Kommunalpolitiker seiner Zeit: Sie sollten überall neue Schulen einrichten und dauerhaft finanzieren, in denen alle Kinder eine gute grundlegende Bildung erhalten. Eltern seien damit überfordert, und die Fürsten und Herren beschäftigten sich mit ihren eigenen Geschäften und ihren Luxus-Spielchen und kümmerten sich nicht um Schule und Bildung. Also müssten es die Bürgermeister und Stadträte in die Hand nehmen.

Wie gerne würde ich heute auch so einen Brandbrief schreiben! Auch wenn er vermutlich nicht so eine große Resonanz hätte wie damals Luthers Aufruf. Doch die schulische Bildung macht mir und vielen anderen auch heute große Sorge – natürlich in anderer Weise als vor fünfhundert Jahren.

Am vergangenen Samstag gingen in deutschen Städten tausende Menschen auf die Straße, um für eine "Bildungswende" in Deutschland zu demonstrieren. Eltern und Erzieher, Lehrerinnen, Schüler und Schülerinnen forderten von den politisch Verantwortlichen, deutlich mehr Geld und Anstrengung für die Bildung aufzubringen.

Tatsächlich liegt so Vieles im Argen. Alleine der Zustand vieler Schulgebäude in meiner Stadt ist schrecklich – und dort verbringen die Kinder einen großen Teil ihrer Lebenszeit. Zu wenige Lehrer und Lehrerinnen, überfüllte Klassen. Und jedes Jahr wieder gibt es zu wenige Schulplätze für die neuen Jahrgänge. Mit der Folge, dass Kinder weite Schulwege in Kauf nehmen müssen. Turnhallen und Schwimmbäder sind marode. Immer wieder fällt Unterricht aus. Viele Lehrkräfte fühlen sich von der Situation überfordert; manche wechseln den Beruf. Kein Wunder, dass die Bildungsstudien dem deutschen Schulsystem in den letzten Jahren alarmierend schlechte Zeugnisse ausstellen.

Um das zu ändern, forderten die Demonstrationen eine Ausbildungsinitiative für Lehrerinnen und Erzieher. Lehrpläne sollten zukunftsfähig überarbeitet werden und mehr Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung geschaffen werden. 

Klar ist: eine solche Bildungswende wird viel Geld kosten. Das war auch zu Martin Luthers Zeit nicht anders. Der Reformator argumentierte damals ganz ähnlich wie die Demonstranten heute: "Liebe Herren, man muss jährlich so viel aufwenden für Kanonen, Wege, Stege, Dämme und unzählige solche Dinge mehr, wodurch eine Stadt zeitlichen Frieden und Ruhe haben soll. Warum sollte man nicht viel mehr aufwenden für die bedürftige, arme Jugend?" – Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bildung wurde am Samstag gefordert, analog zum Sondervermögen für die Bundeswehr.

Die Bildungswende der Reformation sorgte damals für einen großen Schub in der Bildung für alle Schichten des Volkes. Mädchen und Jungen, unabhängig von ihrer Herkunft, konnten Lesen und Schreiben lernen, sollten selbst die Bibel lesen können und urteilsfähig werden in den wichtigen Dingen des Lebens. Geschichte und Sprachen kennenlernen, auch Musik und Kultur. Nach heutigem Verständnis ging es den Reformatoren um eine ganzheitliche Bildung.

Ich denke an die Freude in den Augen einer Erstklässlerin und den Stolz darauf, dass sie jetzt selbst lesen kann. Kinder lernen gerne. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende dafür tun, dass die Bedingungen dafür wieder besser werden. Wie Luther schon vor 500 Jahren schrieb: "Nun muss das junge Volk hüpfen und springen oder jedenfalls etwas zu tun haben, woran es Vergnügen hat… Warum sollte man ihm dann nicht solche Schulen einrichten, dass die Kinder mit Vergnügen und Spiel lernen können?"

Es gilt das gesprochene Wort.

Literatur zur Sendung:

  1. Zitate aus: Martin Luther, An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. 1524.