Niemals Gewalt
Morgenandacht von Pfarrer Jost Mazuch
25.09.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Im Museum Ludwig in Köln hängt ein Bild des Malers Max Ernst: "Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen". Das Bild zeigt Maria, die das nackte Jesuskind vor sich auf den Knien liegen hat und ihm mit hocherhobener Hand auf den Hintern schlägt. Manche Museumsbesucher lachen vor diesem Bild. Doch es ist nicht zum Lachen. 1926, als Max Ernst es malte, löste das Bild einen Skandal aus. Der Vorwurf hieß "Gotteslästerung". Die eigentliche Provokation ist bis heute eine andere: nämlich, dass der Maler mit diesem Bild auch die eigene, gewalttätige Erziehung wiedergab, die er in seinem christlichen Elternhaus erlitten hatte.

Ein Kind zu "züchtigen", das war ganz üblich in Max Ernsts Kindheit vor über hundert Jahren, und auch noch in meiner Kindheit, die nicht ganz so lange zurückliegt. Doch seltsam: Nicht die Gewalt, die Eltern ihren Kindern antaten, galt als Skandal, sondern dass jemand sie thematisierte. Damals war es selbstverständlich, dass Eltern das sogenannte "Züchtigungsrecht" hatten. Erst im Jahr 2000 wurde es in Deutschland abgeschafft.

Ich sprach mit älteren Menschen darüber, die als Kinder noch dieses gewaltsame Erziehungsideal erlebt und erlitten hatten. Da fielen Sätze wie: "Es hat mir aber nicht geschadet!" und "Das waren eben andere Zeiten". Und ich verstehe gut, dass sie die Erinnerung an ihre Eltern nicht schlecht reden wollten. Als ich sie dann aber fragte: Was hätten sie sich denn als Kind selbst gewünscht? Da waren ihre Antworten eindeutig: Kinder, so sagten sie, brauchen Schutz vor Misshandlung. Sie sollen Eltern haben, die für sie da sind, eine Familie, zu der sie gehören. Sie brauchen jemanden, der sie anschaut und ihnen zuhört. Eine, die selbst in Armut aufgewachsen war, betonte die soziale Sicherheit: Kinder brauchen gute Ernährung, eine Wohnung, Schutz vor Krankheiten und Bildung. Ganz wichtig war ihnen allen: Kinder brauchen Respekt! Und schließlich sagte eine Frau: Das alles wäre doch eigentlich selbstverständlich, wenn da Eltern sind, die ihr Kind lieben und annehmen, wie es ist! Ja, das stimmt: Kinder brauchen als wichtigstes Liebe. Aber sie brauchen auch Respekt. Und der muss sich in Rechten niederschlagen. Liebe kann man nicht verordnen, aber Rechte lassen sich einfordern, überprüfen und durchsetzen. Es ist längst nicht selbstverständlich, dass Kinder die Rechte bekommen, die sie brauchen. Auch in Deutschland müssen zu viele Kinder in Armut aufwachsen. Wann endlich haben gute Lebenschancen für alle Kinder oberste Priorität?

Und in vielen ärmeren Ländern geht es Kindern noch schlechter. So viele Kinder in aller Welt müssen hart arbeiten, statt zu spielen und zu lernen. Sie nähen z. B. Kleider, die dann auch nach Deutschland exportiert werden. Oder sie müssen in den Minen im Kongo Coltan aus dem Boden holen: wichtiges Element für Handys, die dann in reichen Ländern millionenfach gekauft werden. Unser Konsumverhalten trägt noch immer dazu bei, dass Kinder ausgebeutet werden und keine Rechte haben. Das muss aufhören! Und noch immer erleiden zu viele Kinder Gewalt, körperliche und sexualisierte Gewalt. Dass das ausgerechnet im Bereich der Kirchen so oft geschieht – ich könnte darüber verzweifeln. Der Schutz der Kinder und der verletzten Menschen muss endlich im Vordergrund stehen und nicht die Institution Kirche!

Ob Jesus als Kind geschlagen wurde, wie es der Maler Max Ernst provokant gemalt hat? Die Bibel erzählt nichts darüber. Aber ich lese, dass der erwachsene Jesus die Kinder unter seinen besonderen Schutz stellte. Wer ihnen Leid zufügen wollte, für den hatte er nur Zorn übrig. Und er stellte ein Kind in die Mitte seiner Zuhörer und sagte: Das ist euer Vorbild, an den Kindern sollt ihr euch orientieren! Jesus wollte den Teufelskreis, den Gewalt erzeugt, durchbrechen. Er ermutigte dazu, auf Gewalt nicht mit Gewalt zu antworten. Und ich verstehe das auch so: Schlagt nicht weiter, auch wenn ihr selbst als Kinder geschlagen wurdet! Schaut auf die Kinder und auf das, was sie nötig haben.

Es gilt das gesprochene Wort.