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Die Sendung zum Nachlesen:
Es klingelt. Da steht jemand vor meiner Tür. Einer, den ich nicht kenne. Ein Fremder? Oder ein Gast? Das entscheidet sich in diesem Moment. Ich muss es entscheiden. Ob ich die Türe wieder schließe. Oder ob ich den anderen hereinbitte. Mich mit ihm an den Tisch setze. Zeit mit ihm verbringe.
Fremder oder Gast? Es ist interessant: Beide Worte bedeuteten ursprünglich dasselbe. Nämlich einen Menschen, der sich außerhalb seiner vertrauten Umgebung aufhält. Das heißt, auch das Wort Gast bezeichnete früher eine fremde Person, und es konnte damit sogar ein Feind gemeint sein. Erst in neuerer Zeit bekam das Wort Gast seine heutige Bedeutung, die so schöne Bilder hervorruft. Bei jemandem zu Gast zu sein, da denke ich an gemeinsames Essen, an freundschaftliche Zusammenkünfte. Doch zum Gast wird ein Mensch erst durch andere, die ihm die Türe öffnen. Und so die Gastfreundschaft pflegen, diese Tugend, die in der Bibel so oft beschworen wird.
"Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt." So legt es der Autor des Hebräerbriefs den frühen Christen ans Herz (Hebr. 13,2).
Gastfrei – mir gefällt dieses etwas altertümliche Wort aus Luthers Übersetzung gut. Da klingt so schön die innere Haltung mit: die Freiheit, auf andere zuzugehen. Zugleich deutet es an, was sich daraus entwickeln kann: frei zu werden von Vorurteilen, von Fremdheit oder Feindschaft.
Gastfrei sein. Ich kenne Viele, die das in den letzten Jahren geübt haben, seit so viele Fremde zu uns kommen. Ich habe mich auch beteiligt. Manche gründeten Willkommensinitiativen für Geflüchtete. Und viele Kirchengemeinden haben Menschen ins Kirchenasyl aufgenommen, um sie vor einer problematischen Abschiebung zu schützen. Das passiert nicht in der großen Öffentlichkeit, sondern eher im Stillen. Aber immer führt es dazu, dass ehemals fremde Menschen sich begegnen und versuchen müssen, einander zu verstehen. Das ist oft mühsam, nicht nur beim Deutsch lernen. In unserer Gemeinde haben wir zusammen gegessen, einander zugehört und getröstet. Manchmal sind sogar Freundschaften entstanden. Klar, da ist nicht alles nur gut gelaufen, wie sollte es auch. Es gab Missverständnisse, auch Enttäuschungen. Manchmal mussten wir uns auch wieder trennen.
Auf jeden Fall haben wir erlebt, wie dieser Weg der Gastfreiheit uns selbst verändert hat. Uns Einzelne, auch unsere Gemeinden, und natürlich unsere Gesellschaft.
Und vielleicht haben manche dabei auch erlebt, was der Hebräerbrief so beschreibt: "Dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt." Naja, Engel, würden die Freunde aus der Flüchtlingsinitiative wohl sagen: Engel sind das bestimmt nicht alle! Aber wenn ich denke, dass Engel einfach Boten Gottes sind, dann könnte es schon sein: Dass uns da manchmal Gottes Boten begegnet sind, obwohl wir das gar nicht wussten, und sie selbst vermutlich auch nicht.
Gott hat uns allen durch die fremden Gäste etwas zu sagen. Er weitet unseren Horizont. Er zeigt uns, wie es steht in anderen Teilen der Welt. Er weckt hoffentlich unser Mitgefühl. Die Geschichten der Geflüchteten gehen unter die Haut. Man kann erfahren und nachspüren, was sie durchmachen mussten. Was sie hinter sich gelassen haben. Wie viel Lebenszeit hier leer zerrinnt beim Warten auf Entscheidungen.
Wer sich auf ihre fremden Lebensgeschichten einlässt, für den rückt näher, was vorher so weit weg schien. Dann geht es bei den Nachrichten aus dem Mittelmeer nicht mehr um die abstrakte Zahl von so und so viel Ertrunkenen. Sondern um Gesichter und Namen, um Menschen, die geliebt wurden und vermisst werden. Manches, was vorher selbstverständlich war, erscheint in einem anderen Licht. Mein alltägliches sicheres Leben erscheint mir kostbarer als vorher. Mancher Luxus wirkt überflüssig. Und manchmal erschrecke ich, weil ich merke, wie viel meine Lebensweise damit zu tun hat, dass woanders Menschen fliehen. Boten Gottes? Wer weiß? Jedenfalls habe ich nur dann die Chance, Engel zu beherbergen, wenn ich gastfrei bin!
Es gilt das gesprochene Wort.