Wo kommt sie bloß her, diese ganze Rücksichtslosigkeit unter den Leuten? Warum werfen so viele ihren Dreck einfach auf die Straße? Und schlimmer noch: Warum haben so viele offenbar Lust daran, in den sozialen Medien andere mit Dreck zu bewerfen? Warum gibt es Jugendliche, die Freude haben an sinnloser Zerstörung?
Solche Fragen hat sich vor Jahren schon Kurt Wallander gestellt, der Kommissar, den Henning Mankell in der schwedischen Provinz auf Mörderjagd geschickt hat. Wallander hat durch viele Romane hindurch nie aufgehört, sich darüber zu wundern, dass Menschen so bösartig sein können. Einmal hat er eine eigenartige Antwort gefunden, die ich nicht vergessen habe: „Ich glaube“, sagt er da, „das ganze Übel hat angefangen, als wir aufgehört haben, unsere Socken zu stopfen.“ (H. Mankell, Die fünfte Frau, S.297)
Weg damit!?
Socken stopfen – ja, das gab’s mal! Sogar Laufmaschen in Nylonstrümpfen wurden repariert. Eine Mühe, die sich nun schon lange kaum jemand noch macht. Kaputte Strümpfe werden weggeworfen. Kein Problem, neue zu kaufen. Was würde auch aus der Strumpfindustrie werden, wenn alle jahrelang dieselben Socken tragen wollten!
Es sind aber nicht bloß die Socken. Es sind auch die Jacken, die Möbel, es sind die Kühlschränke und Staubsauger, die Laptops und Smartphones, die weggeworfen werden, wenn sie einen Defekt haben oder auch bloß ein bisschen alt sind. Die Dinge sind nicht mehr dazu da, ihre Besitzer lange Jahre zu begleiten. Sie sollen verbraucht und zu Müll werden, damit Platz wird für neuen Konsum. Es scheint sich nicht mehr zu lohnen, die Dinge zu pflegen, sorgfältig und behutsam mit ihnen umzugehen, sie mit Liebe zu behandeln. Denn das ist ja Liebe: einer Sache Aufmerksamkeit schenken, sie hüten, gemeinsam alt werden. Solche Beziehung zu den Dingen ist uns weitgehend verloren gegangen. Ich denke, dass Kommissar Wallander richtig vermutet: Mit der Wegwerfmentalität hat auch die Achtlosigkeit zwischen den Menschen immer mehr zugenommen.
Umkehr
Nun gibt es aber auch eine Gegenbewegung. Es spricht sich herum, wie sehr die gigantischen Müllberge – vor allem an Plastik- und Elektroschrott – der Umwelt schaden. Und dass mit dem leichtfertigen Verbrauch auch sehr viel CO2-Ausstoß verbunden ist, der den Klimawandels weiter verschärft.. Zumindest die Umweltbewussten haben es verstanden: Reparieren statt Wegwerfen ist jetzt wieder dran. In vielen Städten sind Repair-Cafés entstanden, wo die handwerklich Unkundigen sich helfen lassen können – mit Rat und richtigem Werkzeug.
Ich stelle mir vor, dass das Orte sind, wo man auch gut miteinander umgeht und merkt, wie wohl es tut, wenn Menschen füreinander da sind und nicht gegeneinander stänkern. Mag sein, dass Klimawandel und Artensterben am Ende doch Viele wieder zu mehr Achtsamkeit bewegen und dass sich das auch auf den Umgang miteinander auswirkt.
Aber vermutlich würde es einer individualisierten Gesellschaft auch guttun, wenn ihre Mitglieder nicht nur lernen, Dinge wieder mehr zu pflegen, sondern auch Lebenszeit in sozialen Dienst zu investieren. Ein wenig Fürsorge üben, Dankbarkeit ernten – und erleben, wie sich das Leben in solch direktem Miteinander doch sehr richtig anfühlt.
Was den Menschen zum Menschen macht
Das Bibelwort, das für diese Spätsommerwoche bestimmt ist, lädt zu solchen Überlegungen ein: ‚Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen‘ heißt es da beim Propheten Jesaja. (Jesaja 42, 3a) Gesagt wird das vom ‚Knecht Gottes‘ – damit ist der wahre, der wirklich menschliche Mensch gemeint. Das ist einer, der das Leben hütet, die Natur hütet, die Dinge nicht bloß verbraucht. Ich denke: Es ist wohl genau das, weswegen es in der Schöpfungsgeschichte heißt, dass Gott den Menschen ‚zu seinem Bild‘ geschaffen hat: Gott ähnlich sind wir nicht wegen unserer Intelligenz, die es ja anscheinend schon künstlich gibt, sondern wegen unserer Fähigkeit zu hüten und zu heilen.