Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash/ Davide Cantelli
Energie: Üben!
30.08.2022 06:35

 

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Als Kind hatte ich immer mal aufgeschlagene Knie. Einigermaßen fasziniert beguckte ich mir dann den Schorf, der sich über der Wunde bildete und war irgendwann versucht, ihn abzupulen. Da kam es dann wieder zum Vorschein: das frische, helle, nasse Blut. Klug war das nicht, aber irgendwie verlockend. Nun ist die Zeit der aufgeschlagenen Knie lange vorbei. Sollte ich mir jetzt mal einen Kratzer holen, hüte ich mich natürlich davor, am Schorf rumzupulen.

Was das angeht, bin ich wohl klüger geworden. Aber so richtig klug auch wieder nicht. Denn jetzt habe ich ja eher mit so gewissen seelischen Verletzungen zu kämpfen und da pule ich doch immer noch gern dran rum. Ich denke zum Beispiel an die Kollegin, die mal vor lauter wichtigen Leuten meine Arbeit madig gemacht hat. Ein Stich war das, der saß. Ich konnte mich nicht wehren. Aber innerlich grolle ich bis heute. Und habe in endlosen Tiraden all die Fehler und Schwächen dieser Kollegin mir wieder und wieder vorerzählt. In gewisser Weise den Schorf immer wieder aufgekratzt.

Dabei ist das nun schon etliche Jahre her und müsste mich gar nicht mehr bekümmern. Warum dann immer mal wieder dieser frische Zorn? Vielleicht ist doch eine gewisse Lust dabei. Wenigstens in meinem Herzen soll sie nicht ungestraft davonkommen. Und ein bisschen kann ich mich in meinem Opferzorn ja auch gut fühlen, unschuldig böse sein.

Aber es dämmert mir schon, dass ich mich durchaus auch selber strafe, indem ich die Wunde unbedingt offen halten will. Was ich andern nachtrage, lastet schließlich auf meinem Buckel. Es würde mir gut tun, wenn ich es loswerde - Vergebung übe, wie es Jesus ja immer wieder von seinen Leuten erwartet und schließlich auch beten lehrt: ‚Vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben unseren Schuldigern.‘

Eine interessante Frage: Ob Gott sich mit dem Vergeben auch so schwer tut wie ich? Ob er auch immer wieder auf die alten Verletzungen zurückkommt? Nein. Er schenkt mir ja Leben, jeden Tag neu, auch wenn ich die Alte bleibe. Und auch meinen alten Groll nicht so ohne Weiteres loswerde. Ich kann die Vergebung ja nicht einfach machen, wenn die Wunde noch schmerzt. Das ist dann doch noch was anderes als ein aufgeschlagenes Knie, das schließlich verschorft. Ist eher wie ein Dorn im Fleisch, der nicht so schnell rauskommt und vor sich hin eitert in immer neuen Wellen von Wut und Anklage.

Wenn es so ist, kann ich die Heilung nicht einfach machen. Aber ich kann sie wollen. Und wie es dann geht, habe ich von der Meditation gelernt: Ich halte meinen Zorn aus wie ein Gewitter, das vorübergeht. Lasse es in mir wüten, aber doch mit ein bisschen Abstand: Irgendwann wird es vorbei sein. Und dann fange ich nicht wieder  an, aufzukratzen.

Vergeben – das ist dann schon die Bereitschaft, den Schmerz auch zu durchleiden. Aber nicht immer wieder drin rumzubohren. Irgendwann kann ich dann auch sehen, dass die Kollegin, die mich gekränkt hat, nicht so rabenschwarz ist wie ich sie in meinen zornigen Gedanken mache. Vielleicht, dass sie mich nicht mal ärgern wollte, sondern bloß ihre Interessen durchsetzen. Irgendwann weiß ich: Das muss nicht meine Sache sein. Ich muss diesen Kriegsschauplatz in meinem Herzen nicht mehr haben, muss nicht mehr böse sein.

Manchmal dauert es eine Weile, bis der Dorn in der Seele endlich raus ist. Aber ich kann das wollen: Vergeben. Wie oft, fragt der Jünger Petrus einmal, wie oft muss ich einem Menschen vergeben, der mich verletzt? Sieben Mal sind doch wohl genug? Aber Jesus antwortet: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Das bedeutet so viel wie: immer und immer wieder. Ich denke: Vielleicht sind gar nicht unzählig viele Kränkungen gemeint, die es zu vergeben gilt. Vielleicht ist es auch die eine, für die ich einen so langen Anlauf brauche. Immer und immer wieder, wenn der alte Groll hochkommt: Vergeben üben. Bis es gut ist. 

 

Es gilt das gesprochene Wort.