Morgenandacht
Gemeinfrei via unsplash / Brooke Cagle
Energie: Gehen...
31.08.2022 06:35

 

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Die Sendung zum Nachlesen: 

‚Geh‘, hört Abraham Gott sagen, ‚geh … aus deinem Vaterhaus in ein Land, das ich dir zeigen werde‘. Und Abraham, der Urvater des Glaubens, wird gehen, sein Leben lang ein Gehender sein. So werden nach ihm auch Mose und das ganze Volk Israel ausziehen und durch die Wüste wandern – vierzig Jahre lang. Auch Jesus ist einer, der ohne festen Wohnsitz lebt, immer weiterzieht. Am Ende wird er seinen Jüngerinnen und Jüngern sagen: ‚Seid Gehende‘. So spielt das Gehen in der Bibel eine zentrale Rolle.

Und gemeint ist dann ja nicht bloß ein irgendwie Unterwegssein, sondern wirkliches Gehen: zu Fuß, im Schritt-Tempo, mit eigener Körperkraft, ungeschützt unter freiem Himmel. Solches Gehen kennen wir fast nur noch als Freizeitbeschäftigung. Als Abendspaziergang vielleicht, der sein muss für die Gesundheit. Wer nach der Arbeit nicht gleich auf dem Sofa hängenbleibt, merkt aber auch: Das Gehen tut der Seele gut. Das Gewirbel des Tages kommt an der frischen Luft zur Ruhe. In der Bewegung löst sich manch innerer Stau, ordnen sich die Gedanken. Es hat etwas Befreiendes, ins Draußen einzutauchen, ohne irgendwohin zu müssen.

Inzwischen gibt es ja auch wieder schon Viele, denen das Glück des kleinen Spaziergangs gar nicht reicht. Sie wollen das Gehen intensiv erleben - im Wander-Urlaub oder auf den vielen alten Pilgerwegen, die durch Europa führen. Und gar nicht nur durch Europa – auch der Buddhismus kennt ja das Pilgern als spirituelle Praxis: das Gehen und immer weiter gehen als eine Möglichkeit, dem Himmelreich, wie es in der Bibel heißt, näher zu kommen.

So viel gibt es da zu erleben. Es fängt schon mit dem Aufbruch an. Ich lasse alles hinter mir, was zu Hause Gewohnheit und Routine geworden ist – auch die Rollen, die ich in der vertrauten Umgebung eben spiele und zu spielen habe. Ich bin nicht mehr festgelegt, werde eine Fremde in fremder Umgebung – frei für völlig neue Entdeckungen und Begegnungen. Und mag mich dabei auch selber neu entdecken. Die Landschaften, die nicht nur an mir vorüberziehen, in die ich vielmehr eintauche, verändern meine innere Stimmung und mein Selbstgefühl. Ich muss mich nicht beeilen, die Uhr hört auf, mich zu beherrschen. Die Pause ist meine Pause – ganz anders als auf dem Bahnhof oder im Flughafen, wo ich das Warten hasse.

Natürlich, auch beim Gehen klappt längst nicht alles wie erwartet und erwünscht. Ich verirre mich, werde pitschnass, habe Schmerzen, muss durch Durststrecken. Nur wird all das Schwierige, was ich sonst als Zumutung empfinde, jetzt zur Herausforderung, zum Abenteuer. Am Ende gehört es dazu wie das Salz in der Suppe. Bleibt in der Erinnerung nicht als verlorene Zeit, sondern im Gegenteil: als starke Erfahrung.

Und dann gibt es ja auch die unversehens besonders beglückenden Momente: den Sommerwind auf der Haut, das weiche Gras, den überwältigenden Ausblick, die großzügige Hilfsbereitschaft von andern auf dem Weg.

Und am Abend die wohlige Erschöpfung und tiefe Zufriedenheit, es doch geschafft zu haben, die eigene Kraft und die eigenen Grenzen wirklich gespürt zu haben. Wie gut schmeckt dann das Essen, wie wohl tut das Trinken, wie offen ist das Gemüt für das Gespräch in der Herberge.

Bei all dem schwinden Überdruss und Angstgefühle. Die Welt wird weit und die eigene Seele auch. Es stellen sich dann keine abstrakten Fragen nach dem Sinn des Lebens mehr. Ich fühle mich lebendig, Geschöpf in der Schöpfung. Und brauche dafür gar nicht viel: wenig Gepäck, viel Begegnung. Kein Gas, wenig Strom – nur meine eigene Energie.

Beim Gehen, hat eine pilgererfahrene Kollegin gesagt, kommt der Glaube vom Kopf auf die Füße, ja, in den ganzen Körper – und da gehört er wohl auch hin. ‚Geh‘ – heißt es in der Bibel immer wieder. Und wenn es auch nur der Abendspaziergang ist – vielleicht kann er ja sein wie ein Gebet: Raus aus der Enge, Aufhören mit dem Selbstgespräch, den Boden wiederfinden, den Atem genießen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.