gemeinfrei via pixabay / Franz Bachinger
Wegbereiter
Johannes der Täufer
08.12.2024 08:35

Sich selbst zurücknehmen, einen anderen vorkommen lassen – eine Kunst, die man im Advent üben kann.

 

Nach der Ausstrahlung können Sie an dieser Stelle den Sendetext nachlesen.

Zweiter Advent: 
Meine Wege bis Weihnachten sind vorhersehbar. Ich muss ins Kaufhaus zu den Süßwaren, in den Supermarkt an die Fleischtheke, auch nochmal auf den Weihnachtsmarkt und Schlange stehen auf der Post. Den Baum holen natürlich. 
Alle Jahre wieder die gleichen Gänge, damit an Heiligabend alles getan ist und ins Weihnachtszimmer Glanz und Fülle einkehren – hoffentlich. Nicht wenige finden den Weihnachts-Stress lästig und entziehen sich. Ich kann das nicht – ich brauche das Weihnachtszimmer und alles, was vorher dazu gehört. Alle Jahre wieder. Aber ich will auch nicht vergessen, dass es im Advent um mehr geht als die immer gleichen Rituale vor dem Fest. Eigentlich genau um das Gegenteil. So wie die Bibel vom Advent spricht, bedeutet er ja gerade: Alles Gewohnte zu lassen. Aufbrechen, neu anfangen, damit Gott wieder nah kommen kann. Dafür steht der Adventsmann Johannes, den wir als den Täufer kennen. Ein später Prophet, der den Ruf seines Vorgängers Jesaja ernst nimmt. Beim Propheten Jesaja im Alten Testament heißt es: 


Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen. (Jesaja 40, 3 - 5)

In der Wüste – auf dem noch ungewissen Weg ins Gelobte Land – war das biblische Volk Israel seinem Gott nah. Inzwischen hat es eine lange, verworrene Machtgeschichte hinter sich. Zur Zeit von Johannes dem Täufer sind die Leute vor allem mit sich selbst beschäftigt, mit ihrem Fortkommen, ihrem Vermögen oder ihrer Armut. Die Religion ist für etliche nur noch Formsache, Gottes Gerechtigkeit in weite Ferne gerückt. Wenn Gott nicht fernbleiben soll, weiß Johannes, ist Umkehr nötig, zurück an den Anfang – in die Leere der Wüste, wo noch alles erhofft wurde und kein Besitz verteidigt werden musste. Und so geht er in die Einöde an den Ort am Fluss Jordan, wo die Israeliten einst ins verheißene Land geführt wurden. Dort lebt er asketisch wie ein Wüstenbewohner. Er kleidet sich in Kamelhaar und isst, was Beduinen damals aßen: Heuschrecken und wilden Honig. So ruft er auf zu einem neuen Anfang. Viele muss es gegeben haben, die seine Sehnsucht nach einer großen Veränderung teilten, denn er blieb nicht allein. In Scharen machten sich Menschen auf den Weg zu ihm. Sie ließen sich die harsche Ansprache von Johannes dem Täufer gefallen, die in der Bibel so überliefert ist: 

Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.  (Lukas 3, 7 – 9)

Das klingt nach: ‚Letzte Generation‘. Ja, schon damals hat Johannes den absoluten Untergang vor Augen gehabt, wenn es keine Umkehr gibt. Recht behalten hat er jedenfalls damit, dass aus der Menschengeschichte immer wieder eine Elendsgeschichte geworden ist. Heute höre ich ihn sagen: Ihr seid doch verrückt, wenn ihr immer so weiter macht! Guckt euch doch euren Lebensstil an, eure Konsumgewohnheiten. Seht ihr nicht, wie bedroht die Zukunft eurer Kinder ist? Sind sie nicht längst da, die katastrophalen Folgen der Erderwärmung? Schreit sie nicht zum Himmel, die gewaltige Kluft zwischen Reich und Arm? Denkt doch nicht, es sei damit getan, dass ihr jetzt ein paar Euro für die Hungerhilfe spendet und zu Weihnachten mal in die Kirche geht!  

So etwa lassen sich die Drohworte des Johannes übersetzen. Ich kann mich ihnen schwer entziehen. Dabei glaubt Johannes an die Möglichkeit der Veränderung, des Neubeginns in Verantwortung vor Gott. Darum wird er zum Täufer. Zu sehr, findet er, haben sich die Menschen seiner Zeit an ihre üblichen Reinigungsrituale gewöhnt. Zu wenig ändern sie ihren Alltag. Die Taufe, so hofft er, das Eintauchen des ganzen Menschen ins Flusswasser, wird ein Zeichen wirklicher Erneuerung sein. Die Menschen, die sich von Johannes im Jordan taufen lassen, verstehen das auch. Sie fragen ihn: Was sollen wir tun?  

Johannes antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!     (Lukas 3, 11 – 14)

Johannes der Täufer gibt einfache Antworten, die sich alle auf diesen Nenner bringen lassen: Wollt nicht immer noch mehr haben! Haltet das Zuviel nicht für normal! Seid bereit zum Verzicht zugunsten der Armen! Wenn ihr zurückfindet zu Maß und Grenze, wird gute Zukunft möglich. Sehr machbar klingt das. Aber wie massiv erhebt sich dagegen immer aufs Neue der Widerstand!
                                                
Ob die Menschen, die sich von Johannes taufen ließen, damals wirklich ihr Leben geändert haben?

Vielleicht haben sie den Weg zum Täufer so ähnlich erlebt wie eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg: eine Phase der Besinnung, der Erfahrung, wie wenig man wirklich braucht, die nachwirkt, bis dann der Trubel des Alltags die guten Vorsätze wieder vergessen lässt. Wahrscheinlich wäre die mahnende Stimme des Johannes längst verklungen, wenn es nicht den einen Schüler gegeben hätte, der ihn weit überragen sollte: Jesus, der bestimmt war zum Sohn Gottes, zum Messias für viele Völker. Sein Weg begann bei Johannes. Er gehörte zu denen, die dessen Bußruf hörten und sich von ihm taufen ließen. Davon berichten übereinstimmend die Evangelien. Jesus fing an als Schüler des Johannes. Und wie Johannes hat auch er vom drohenden Unheil gepredigt, Umkehr gefordert. Doch vor allem ging es ihm darum, die Verlorenen, Verachteten und Ausgegrenzten zu heilen. Gottes Reich ist da, wo Heilung und Versöhnung geschieht - das wurde durch Jesus sichtbar. 

Die Menschen, die Jesus nachfolgten, erfuhren: Nach seinem Tod am Kreuz war nicht alles zu Ende, sondern ein großer Anfang tat sich auf. Sie erkannten in Jesus den verheißenen Messias, den Heiland für alle Welt. Von ihm wollten sie weitererzählen. Aber sie erinnerten sich doch auch: Mit der Taufe des Johannes hatte der Weg Jesu begonnen. Johannes sollte nicht verschwiegen werden. Er war der Wegbereiter, der Vorläufer Jesu, er gehörte dazu. Nun war er für sie auch derjenige, der Jesu Kommen vorhergesehen hatte, wenn er sagte: 

Nach mir kommt der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse. Ich habe euch mit Wasser getauft; aber er wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.        (Markus 1, 7 – 8)

Aus Johannes, dem Lehrer Jesu, wurde im Rückblick sein Diener. Aber darin sehe ich keine Zurücksetzung. Ich mag den Gedanken, dass ein Lehrender sich als Dienender versteht: als Wegbereiter für Kommende, die über ihn hinausgehen werden. Wie bedeutend Johannes als Vorläufer Jesu ist, das weiß vor allem das Lukasevangelium zu schildern. 
Hier werden die Lebensgeschichten der beiden nahezu parallel erzählt: Nicht nur die Geburt Jesu, auch die Geburt des Johannes steht unter einer großen Verheißung und wird durch einen Engel angekündigt.
Und beide werden sie am Ende den Hass der Machthaber auf sich ziehen und ermordet. Noch weiter geht das Johannesevangelium: Hier ist der Täufer derjenige, der als Erster in Jesus den Messias erkennt. Schon als er Jesus zum ersten Mal sieht, sagt er: 

Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. (Joh. 1, 29-30)

Nicht gerade leicht zu verstehen ist dieser Satz. Und doch ist Johannes der Täufer damit in die Geschichte der Kirche eingegangen. Auf vielen alten Bildern ist er daran zu erkennen, dass er von einem Lamm begleitet wird und einen Kreuzstab trägt. So ist er in Erinnerung geblieben: als erster Christ. Aber die ersten Christen haben sich auch wirklich an ihm orientiert. Nach Jesu Weggang haben sie sich ja als diejenigen verstanden, die auf seine Wiederkehr warten, auf den Anbruch von Gottes Reich, das Jesus verheißen hat. Sie wussten: In dieser Hoffnung zu leben, bedeutet, Jesus Christus den Weg zu bereiten, Gottes Gerechtigkeit tätig zu bezeugen. Dazu brauchten sie ein Zeichen der Erneuerung, ein Zeichen, das die Hoffnung besiegelt. Darum haben sie die Taufe von Johannes übernommen.                                    

Die Bibel ist ein Geschwisterbuch. Jede große Gestalt, von der sie erzählt, hat einen Brudermenschen zur Seite. Schrecklich fängt es an mit Kain, der seinen Bruder Abel erschlägt. Konfliktreich geht es weiter mit Jakob und Esau, mit Josef und seinen Brüdern, auch noch mit Mose und Aaron. Glück erst hat David mit Jonathan, dem Königssohn – nicht sein leiblicher Bruder, aber einer, der ihm unbedingt zur Seite steht. Schließlich ist auch Jesus nicht als einsame Lichtgestalt unterwegs: Johannes gehört zu ihm als sein Wegbereiter. Johannes, der wie selbstverständlich hinter Jesus zurücktritt, wenn er sagt:

Ich bin nicht der Christus, sondern ich bin vor ihm her gesandt. … Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. (Johannes 3, 30)

Jesus wiederum bezeugt, dass Johannes größer sei als alle Propheten. (Matthäus 11,11). Keinen Streit, keine Konkurrenz, keinen Schatten gibt es zwischen den beiden. Darum sind sie auf vielen Marienbildern ja auch wie zwei kleine Brüder zu sehen: Jesus auf dem Schoß der Maria, Johannes, der schon stehen kann, ihm zugewandt. Vielleicht ist das mal eine Idee für die Weihnachtskrippe: auch Johannes dazu zu stellen, den brüderlichen Weggefährten, Wegbereiter. Zu seiner Zeit hat Johannes das alt gewordene Gottesvolk Israel an seine Anfänge erinnert. Heute erinnert er die alt gewordene Christenheit an ihren Anfang im Volk Israel.

Mich lässt er daran denken, dass es jetzt und immer um mehr geht als Weihnachtsvorbereitungen alle Jahre wieder. Dass ich selbst ja auch gefordert bin, Wegbereiterin zu sein für die, die nach mir kommen – mit all dem, was ich tue und denke.            

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
1.-2. Charles du Plessis Trio, Wachet auf, ruft uns die Stimme    
https://www.youtube.com/watch?v=APfgjIQ21ec