"Ich werde Weihnachten zu Hause sein. Du kannst mit mir rechnen." So beginnt ein berühmter Weihnachtssong aus Amerika. "I’ll be home for Christmas. You can plan on me." Nach Hause kommen, das gehört zu Weihnachten. Darum werden die Züge in diesen Tagen überfüllt. Die Studierenden fahren heim, die Soldatinnen und Soldaten, all die Frauen und Männer, die ihre Arbeit fern der Heimat gefunden haben. Junge Familien brechen auf zu den Großeltern und Großeltern machen sich auf den Weg zu den Kindern.
Zu Hause?
Zu Hause, das ist da, wo mir die Straßen und Häuser von jeher vertraut sind. Wo das Licht, das durch die Fenster fällt, frühe Erinnerungen weckt. Wo das Dunkel der Heiligen Nacht voller Verheißung war: Wie hat mich der Glanz der Kerzen am Weihnachtsbaum verzaubert damals, als in der kindlichen Erfahrung Zeit und Ewigkeit noch nicht voneinander geschieden waren! Aber wenn ich schon lange erwachsen bin, dann ist zu Hause doch etwas Ferngewordenes, selbst, wenn ich wieder da bin. Ich bin nicht mehr das Kind, mit dem hier gerechnet wird. Ich bin bloß zu Besuch.
Zu Hause, das kann auch da sein, wo mein Herz täglich hinfliegt. Wo der Sohn wohnt oder die Tochter. Wo die Enkel heranwachsen. Es gab Momente, noch viel glückseliger als alle kindlichen Weihnachtsabende zusammen: Als ich ein Neugeborenes im Arm hatte, mir geboren, mit Himmelsglanz auf der Haut. Aber nun sind sie längst groß, die Kinder. Wenn ich dann bei ihnen bin, ja, was habe ich denn erwartet? Ich bin bloß zu Besuch in einer ach, so anderen Welt.
Eine Nähe anderer Art
Zusammenkommen, das gehört zu Weihnachten. Schon gut, wenn es die Menschen gibt, die am Weihnachtsabend mit uns rechnen, die uns erwarten. Und schon eigenartig: Gerade in den Erwartungen der Familie sind wir oft so ganz zu Hause nicht.
Manchmal ist der beste Augenblick zu Weihnachten sogar draußen, wenn ich ganz allein mit mir bin – oder gerade bloß mit einem wildfremden Taxifahrer spreche. Wenn sich die Erfahrung einstellt, dass es eine Nähe gibt zwischen allen Schicksalen unterm Sternenhimmel. Eine innere Verwandtschaft auch mit den Fernsten.
Sehnsuchtsbilder
Gar nicht zu Hause, gar nicht in festlich geschmückter Stube hat sich das Wunder ja ereignet, das wir zu Weihnachten feiern: Gottes Zur-Welt-Kommen in einem Menschenkind. Einbruch des ewigen Lichts in die verirrte, verdunkelte Erdenwirklichkeit. Dafür gab es, so erzählt es die biblische Weihnachtsgeschichte, keinen Platz in der Herberge. Das geschah draußen – im Schmutz eines Stalls. Und die es als erste mitkriegten, die Hirten, waren auch nicht zu Hause, sondern irgendwo fernab auf den Feldern. Im Freien ging ihnen der Himmel auf und das Herz, so dass sie loslaufen mussten, dem Kind entgegen. Wie auch von fernher die weisen Männer, Könige hieß es später, losliefen, um vor dem Kind in die Knie zu gehen.
Die Bilder der Weihnachtsgeschichte sind Bilder einer Erfüllung, die jenseits aller Wohnstuben liegt. Bilder, die ins ungeahnt Offene und Weite führen. Bilder des Aufbrechens und Ankommens – endlich in einer versöhnten Welt. Sehnsuchtsbilder.
Das Gefühl des Fehlens gehört dazu
Heimat, hat der Philosoph Ernst Bloch gesagt, ist etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war. Besser lässt sich kaum ausdrücken, was wir zu Weihnachten feiern: die gewisse Zuversicht, dass uns Heimat nicht verloren geht, sondern überhaupt erst auf uns wartet. Dass wir versöhnt sein werden mit uns, mit allen, mit Gott.
Davon haben wir zu Weihnachten eine Erinnerung und eine Sehnsucht. Das Gefühl des Fehlens gehört dazu. Und weil es in allen ist, sind wir einander gut. Auch wenn es mit dem Planen und Miteinanderrechnen nicht so ganz klappt. Wie heißt es in dem amerikanischen Weihnachtslied: "Ich werde Weihnachten zu Hause sein – if only in my dreams." Und wenn auch nur im Traum.