Ostern steht im Kalender

Am Sonntagmorgen

Das Abendmahl in Emmaus (Caravaggio) / gemeinfrei

Ostern steht im Kalender
Im Leben ist es eine Glaubensfrage
09.04.2023 - 08:35
07.01.2023
Peter Oldenbruch

von Pfarrer Peter Oldenbruch

Über die Sendung:

Die Emmaus-Jünger seien seine liebste Ostergeschichte, meint Autor Peter Oldenbruch, weil sie keinen Glaubenssatz wie „Christ ist erstanden“ illustriert. Am Ende des Lukasevangeliums werde eine Ostergeschichte erzählt.
Die Emmaus-Geschichte sei wie ein Film oder wie ein Traum. Dieser träumerische Film wird am Ostermorgen erzählt.

Sendung nachhören:
Sendung nachlesen:

Was ist Ostern?
Das Hasenfest, meinte ein Flüchtling vor Gericht. Denn Richterinnen müssen gelegentlich über Asylanträge von Menschen entscheiden, die zum Christentum übergetreten sind. Sie müssen prüfen, ob der Glaube für diesen einzelnen Menschen „ein zentrales Element seiner religiösen Identität?“  bildet. Ob er für ihn unverzichtbar ist. Geprüft wird dann - so wörtlich – die „Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person“. So ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus 2015.
Aber wie prüft man das? Weil das so schwierig ist, vermute ich, weichen Juristinnen gern auf Fachwissen aus. „Wer war Martin Luther?“ Antwort: „Ein Papst.“ Diese Bewerberin übrigens erhielt die Flüchtlingseigenschaft. Hasenfest als Definition von Ostern ging nicht durch. Dabei scheint der Osterhase in unseren Breiten das zentrale Ostersymbol zu sein. Jedenfalls, wenn man durch die Geschäfte geht. Oder die Deko anschaut in den Wohnungen und Schaufenstern.

Was ist Ostern?
Christi Auferstehung!
Stimmt! Das hätte der Flüchtling der Richterin sagen müssen. Aber was heißt das?

Eine Ostergeschichte in der Bibel erzählt von zwei Jüngern (Lk 24,13-53). Die beiden gehören offensichtlich nicht zum engen Kreis der zwölf. Sie machen sich am allerersten Ostermorgen auf den Weg nach Emmaus, einem Dorf nahe Jerusalem. Die Erzählung kommt mir vor wie ein träumerischer Film.
Am ersten Ostermorgen, stell´ ich mir vor, reinigen Leute die Straße von Blut, vom Blut der jüngst nach Golgota Geprügelten. In einer Schreinerwerkstatt werden Querbalken gezimmert - für die Kreuze jener, die demnächst gekreuzigt werden. Die beiden Emmaus-Jünger sitzen in einem kleinen Raum. Und wirken niedergeschlagen, aber sie reden miteinander.
Es gibt auch eine Niedergeschlagenheit, die die Sprache verschlägt. Diese beiden reden noch miteinander. Den einen höre ich sagen: Lass uns weggehen von hier!
Wohin?
Einfach weg - statt hier sitzen und warten und keine Antwort finden. Lass uns gehen, raus aus dieser Stadt! Nach Emmaus. Und Abstand gewinnen! Vielleicht kommen wir so auf andere Gedanken.

Die beiden packen ihre Bündel und marschieren zügig los, schließlich ist´s kein langer Weg. Unterwegs wabern Nebelschwaden.

„Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von all diesen Geschichten.“

Von welchen Geschichten?
Von der Kreuzigung, natürlich! Und von den Frauen am leeren Grab. Vielleicht auch von der Feldrede, damals …
„Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer.
Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert; denn ihr sollt satt werden.
Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen.“
(Lk 6,20f)

Vieles geht ihnen durch den Kopf - wie das so ist beim Gehen. Immer wieder jedoch kommen sie auf die Kreuzigung zurück, vorgestern erst. Dieses grausame Ende!

„Als sie so redeten und sich miteinander besprachen,
da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen.
Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.“

Sie merken nicht, mit wem sie´s zu tun haben. Ihre Augen werden „gehalten“ - merkwürdige Formulierung! Und doch nicht unbekannt. Man merkt erst im Sommer, dass man den Frühling verpasst, die Vögel nicht gehört und das Grün nicht hat kommen sehen. Zu viel war zu tun im verglasten Büro, am Laptop, im Betrieb, am Telefon, in der geheizten Wohnung. Immer so viel zu tun! So dass die Augen „gehalten“ sind. Und ich erkenne den Menschen neben mir nicht, seine Schönheit nicht, seine Wahrheit nicht. Die To-do-Liste wird immer länger, dabei arbeite ich mich täglich daran ab. Ich muss unbedingt noch!
Es ist der „rasende Stillstand“! (Hartmut Rosa) Immer so viel zu tun! Und gleichzeitig sind die Augen „gehalten“.

„Was sind das für Dinge, die ihr unterwegs miteinander verhandelt?

Da bleiben die beiden stehen, mitten auf der Landstraße.
Und sie hören auf.

„Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“

Was denn?
Und sie berichten dem vermeintlich Fremden von Jesus von Nazareth, dem Propheten, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk. Sie berichten, wie die eigenen Oberen ihn zur Todesstrafe überantwortet haben. Die beiden Wanderer hatten etwas ganz Anderes gedacht:

„Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.“

Erschreckt hätten sie auch einige Frauen aus ihrem Kreis, die früh am Grab gewesen seien, seinen Leib aber nicht gefunden hätten. Der Fremde antwortet:

„O, ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“

Warum musste das so sein? Warum musste dieser Prophet gefoltert werden? Und verspottet und angespuckt und getötet?
Die Emmaus-Jünger hatten gehofft, Jesus werde Israel erlösen. Sie hatten gehofft:
er schaffe den Himmel auf Erden, das Gottesreich, in dem die Armen versorgt, der Hunger abgeschafft, und alle Tränen abgewischt sind.
Wie kann der allmächtige Gott zulassen, ja sogar wollen, dass so jemand, ein Unschuldiger Folter und Tod ertragen soll! Warum muss das so sein?

Die Emmaus-Jünger beschäftigen sich mit den Fragen, die gestellt werden müssen, auf die es aber keine fertige Antwort gibt. Warum ist das Leben so?
„Schön und - schrecklich, wunderbar und - unerträglich. In unseren gottlosen Träumen und Visionen könnte alles viel besser sein, viel friedlicher und freundlicher, viel positiver. Aber in Gottes Welt geht es, offenbar nach Gottes Willen, so zu,        dass Gottes Macht und Herrlichkeit und Gnade sehr verborgen bleiben.“1

„Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.“

Jetzt bleiben sie stehen, mitten auf dem Weg. Solche Fragen kann man nicht im Gehen verhandeln. Selbstverständlich kennen sie den Propheten Jesaja.  Und der redete von einem Gottesknecht, der krank ist und voller Schmerzen und so verachtet, dass man gar nicht hinschauen möchte.

„Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.

In diesem Augenblick, stell´ ich mir vor, holpert ein Eselskarren vorbei, dem die drei lebhaft Diskutierenden genau im Weg stehen. Der Mann mit dem Eselskarren beschwert sich: „Reden könnt ihr in der Taverne, das müsst ihr nicht mitten auf der Straße!“ Die drei treten zur Seite.

„Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4f)

Als fromme Juden kennen die beiden Wanderer die berühmte Jesaja-Passage. Aber sie verstehen nicht, was der Fremde damit sagen will, was diese Prophezeiung mit Jesus zu tun haben soll. Sie hören gespannt zu, aber es überzeugt sie nicht.

„Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingehen wollten. Und er tat so, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“

Ach, das war nicht der Abend, auch nicht die Fürsorge für den fremden Wanderer! Wer kennt sie nicht, diese Behelfchen! Es ist schon so spät, das Kinderzimmer ist ja frei, übernachtet doch hier bei uns!  Und dann die Dunkelheit draußen und der Regen und der Nebel! Es ist nicht der Nebel, auch nicht die Nacht. Es ist die angenehme Gegenwart dieses fremden Mitwanderers. Sie wollen die Emmaus-Jünger nicht missen.

„Und er ging mit ihnen hinein, um bei ihnen zu bleiben.“

Die Taverne ist einfach und dunkel. Aber der Tisch ist festlich gedeckt: eine Obstschale mit Trauben und Äpfeln und natürlich mit Brot und Wein. Sogar ein gebratenes Hähnchen hat der Wirt aufgetragen. Der Wirt bleibt am Tisch der drei stehen. Es scheint ihn zu interessieren, worüber hier gesprochen wird.
Der Obstkorb wirft einen Schatten. Und als wäre es Zufall, ähnelt der Schatten, den der Obstkorb wirft, schon die ganze Zeit dem Schwanz eines Fisches. Der Fisch wiederum, der ichthus, ist ein Christus-Symbol des frühen Christentums: die Anfangsbuchstaben von ichthus sind die Anfangsbuchstaben der Wörter des griechischen Satzes: „Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser.“

Caravaggio hat den Fisch-Schwanz als Schatten auf einem seiner beiden Emmaus-Bilder gemalt. Das Abendessen kann beginnen.

„Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach´s und gab´s ihnen.“

Miteinander an einem großen Tisch sitzen und einer ist da, der austeilt, Brot austeilt, Wein austeilt, Zeit schenkt, sich verschenkt, da ist.
Die Wanderer erinnern sich an die Geste, an dieses Symbol: ...dankte …brach´s ...und gab´s... .

„Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.“

Auf den Gesichtern der beiden Jünger spiegelt sich das Erkennen.
Und Christus verschwindet mitten im Erkennen.

Er verweilt nicht, dieser Augenblick, aber die beiden, die ihn erlebt haben, werden plötzlich wach. Und wieder lebendig. Die Stimmung ändert sich schlagartig, der Tonfall überschlägt sich fast, sie gehen den Tag, die Wanderung noch einmal durch. Und es fällt ihnen wie Schuppen von den Augen.

„Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns auf dem Wege redete und uns dabei die Schrift öffnete? Und sie brachen noch in derselben Stunde auf, kehrten nach Jerusalem zurück und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sagten: der Herr ist wirklich auferstanden und Simon erschienen.
Und sie erzählten ihnen, was unterwegs geschehen war und wie er von ihnen daran erkannt wurde, wie er das Brot brach.“

Eine lange Passionszeit, Karfreitag, Karsamstag, Ostern - auf dem Kalender kommt Ostern automatisch. Die bittere Realität scheint oft an Karfreitag zu enden. Und die Kreuze behalten das letzte Wort. Und Gottes Macht und Herrlichkeit und Gnade bleiben verborgen.
Die Geschichte von den Emmaus-Jüngern widerspricht hier. Den beiden Verzweifelten, die bloß wegwollten, ist der Auferstandene begegnet.

Wann?
Als sie´s überhaupt nicht erwartet hatten, total überraschend. Machen, herbeizaubern oder erzwingen kann man solche Emmaus-Erfahrungen nicht. Sie geschehen, so Gott will, ganz ohne eigenes Zutun.

Und wie ist er ihnen begegnet?
Als Unbekannter, als Gast, als Fremder. Sie haben ihn gebeten, bei ihnen zu bleiben, sie haben ihn beherbergt. Und waren offen, empfangsbereit sozusagen - statt verschlossen, statt zu, lang vor dem Tod bereits ans Totsein gewöhnt, im Büro, im rasenden Stillstand, in der geheizten Wohnung, den großen Stein vor der Tür. Für einen Moment hören sie auf, stellen sich auf Empfang und hören auf ihn.

Und wo ist er ihnen begegnet?
Bei einem abendlichen Mahl, also dort, wo geteilt wird:  Erfahrungen und Brot, Leben, Wein und Leid.

Wann ist Ostern?
Dann! Wenn das Leben geteilt wird. Gottes Macht und Herrlichkeit und Gnade sind für einen Augenblick nicht mehr verborgen. Sie schimmern auf. Krieg und Gewalt, Folter und Tod haben nicht das letzte Wort. Was Menschen selig macht, sei etwas ganz anderes, verkündigte Jesus. Eines Menschen Seligkeit sei nicht Reichtum, nicht Macht, nicht Gewalt. Eines Menschen Seligkeit sei es, wenn er weiß, dass er ganz schön arm dasteht vor Gott. Selig mache ein reines Herz und Barmherzigkeit, nicht Härte. Selig sind die Sanftmütigen.

Das verkündigte der Herr, dem der große Tisch zentral war, an dem selbst Zöllner und Sünder Platz finden. Aber wer glaubt das schon!
Wer glaubt schon an die Auferstehung! Doch den Gastgeber am großen Tisch konnten die Mächtigen nicht totkriegen. Er bittet freundlich zu Tisch. Und lädt ein, mitten im rasenden Stilstand aufzuhören und auf ihn zu hören.

Herr, bleibe bei uns!
Das ist eine österliche Sehnsucht.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literatur dieser Sendung:

  1. Manfred Josuttis, in: GPM 11/2006, S. 115.

Musik dieser Sendung:

  1. Ulrich Bieber: Christ ist erstanden (Orgel).
  2. Karl Jenkins: Agnus Dei, The Armed Man, Nr. 10.
  3. Ulrich Bieber: Herr bleibe bei uns (Orgel).
  4. Karl Jenkins: Now The Guns Have Stopped, The Armed Man: A Mass for peace.
07.01.2023
Peter Oldenbruch