Zachäus und ich

Blatt vom Feigenbaum

Gemeinfrei via unsplash/ Jametlene Reskp

Zachäus und ich
Evangelium der Anerkennung
07.03.2021 - 08:35
06.03.2021
Susanne Krahe
Über die Sendung:

"Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
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Ich glaube, wenn ich diese Erfahrung nicht gehabt hätte, oder auch in der kirchlichen Jugendarbeit …, wo ich dann auch wirklich sein durfte, wie ich war, und auch das Gefühl hatte, gesehen zu werden, … mit meinen Themen und meinen Nöten, auch mit … dem, was ich konnte, wenn ich das nicht gehabt hätte …, hätte ich, glaube ich, überhaupt kein Selbstwertgefühl entwickeln können.
Also ich hatte das andere daneben, von Gott oder von Christus gesehen zu sein, und auch dann von Lehrern und Lehrerinnen und anderen Menschen, aber in einer Beziehung zu leben, familiär, in der man nicht gesehen wird, ist fast unaushaltbar.

 

Sein dürfen, wer ich bin - mit allen Stärken und Schwächen. Mit meinen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Nöten gesehen werden. Dazu gehören. Wer braucht das nicht? Als Pfarrerin weiß
Dagmar Spelsberg-Sühling sehr genau, wie entscheidend es für Menschen ist, geachtet und akzeptiert zu werden, sei es als Gruppe, sei es als Individuum. Kirchen sollten eigentlich zu den Orten gehören, meint sie, an denen dieses menschliche Grundbedürfnis erfüllt wird.

 

Wenn ich als Gemeindepfarrerin oder Ehrenamtliche in der Gemeinde immer wieder Gegenwind und Missachtung erfahre, dann springt die Botschaft auch nicht über. Also dann kann ich das, was ich eigentlich heilsam tun möchte, überhaupt nicht weitergeben. Gemeinden können aber auch Ehrenamtlichen zu einem Grab der Anerkennung werden. Wenn ich das mal so sagen darf. Es gibt da auch ganz viel Neid und Missgunst und Aberkennung von Tätigkeit.

 

Idealerweise erfahren Menschen sich schon im Säuglingsalter als Resonanzwesen. Sie empfangen und geben, suchen Kontakt und wollen sich mit einem Gegenüber austauschen. Mutter und Vater erwidern die Blicke ihres Kindes mit einem Lächeln. Sie kommen seinen ausgestreckten Armen mit ihren eigenen Körpern entgegen, oder sie loben seine ersten Gehversuche, auch wenn diese noch sehr stolperig ausfallen. „Gut machst du das! Prima!“ Wohlwollen und positive Zuschreibungen sind wichtige Grundlagen dafür, dass ein junger Mensch ein gesundes Selbstvertrauen entwickelt.

Oft fällt die Bedeutung der Anerkennung allerdings erst auf, wo sie fehlt. Was das Miteinander prägt, ist häufig nicht die gegenseitige Akzeptanz, sondern eher der Mangel daran. Ja ein ständiger Kampf um Anerkennung; zum Beispiel durch Mobbing-Attacken, die einem das Berufsleben verleiden. Oder bei dem Klassenclown: Er überschlägt sich mit immer drastischeren Streichen, um bei den anderen Eindruck zu schinden. Trotzdem wird er nie zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Obwohl er permanent daran arbeitet, bewundert zu werden oder wenigstens dazu zu gehören, wird er immer mehr in die Außenseiter-Rolle gedrängt.

 

– also dieser Kampf um Anerkennung kann einen total binden bis ans Lebensende… Weil das ist etwas, das unerfüllt bleibt, wonach die Sehnsucht aber groß ist, und das kann einen schon prägen. Und das macht schon krank.

 

Dagmar Spelzberg-Sühling weiß, wovon sie spricht. Ihre Kindheit wurde von dem Empfinden überschattet, von ihren eigenen Eltern nicht anerkannt zu werden.

 

Ich war ja relativ gut in der Schule später, oder auch schon in der Grundschule. Und durfte aber das nie jemandem erzählen, dass ich gute Noten hatte. Weil das ja Eigenlob sein könnte, oder mich hochnäsig und größenwahnsinnig machen würde. Insofern war das strikt verboten auch im verwandtschaftlichen Kontext musste ich immer ausweichen, wenn ich danach gefragt wurde, wie es in der Schule läuft und so. Das fand ich sehr demütigend, oder, je älter ich wurde, auch ungerecht, … Ja, wenn mich meine Tanten gefragt haben, „wie läufts denn bei dir in der Schule?“ hätt‘ ich natürlich gern davon erzählt, dass ich auch gute Noten hab, klar. Ich denke, das tut man als Kind ja dann auch, ohne dass man sich dabei besonders in den Mittelpunkt stellt.

 

Das ist ja einfach auch ein Grundbedürfnis, dass man Freude am Lernen hat, was ich durchaus hatte, und das auch leicht von der Hand ging, gesehen zu werden … Ich war ein ganz quirliges, fröhliches Kind so die ersten Jahre. Das ist dann irgendwann abgebrochen, weil ich immer das Gefühl hatte, ich bin falsch. Meine Eltern konnten einfach Fröhlichkeit selber nicht ertragen, weil sie alle Emotionen eben weggetan haben und mir auch vermittelt, dass ich nicht richtig bin.

 

Was mich sehr begleitet hat, ist die Zachäus-Geschichte.

 

Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch.Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer, der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.

(Lk 19, 1-4)

 

Und da hocke ich nun in meiner Astgabel und reibe mir die Wange an einer Baumrinde wund: isoliert wie immer. Unter mir drängen sich Ellbögen, recken sich Hälse, drücken Füße schwere Körper in die Höhe. Um in dem Gedränge der Leute nicht länger gestoßen und zur Seite geschoben zu werden, bin ich auf diesen Feigenbaum geklettert. „Wie ein Äffchen“, mokierte sich eine Frau über meine kräftigen Hände; über elastische Arme, die nicht zu der klotzigen Form meines Gnomenkörpers passen. Doch solche Vergleiche stören mich nicht mehr. Ich bin schlimmere Beschimpfungen gewohnt. „Zachäus, der Zwerg“, so nennen mich die Leute. „Zachäus, Dreikäsehoch, und sein Reichtum stinkt trotzdem zum Himmel“. Ich lasse mich schon lange nicht mehr von ihren Sprüchen provozieren. Was immer mir einfiele, zu kontern: Recht machen würde ich es den Leuten nie. Also stelle ich mich hoch über ihr Gerede und genieße, dass ich von hier oben einen besseren Überblick habe als alle anderen.

Alle starren in dieselbe Richtung. Nur mein Blick hat die Grenze unserer Oase schon erreicht. Da hinten fängt die Wüste an. Ich erkenne, wie winzige Punkte am Horizont sich voneinander lösen, wie den schwarzen Klecksen Arme und Beine wachsen, wie sie bunter werden, je näher sie kommen. Lange wird es nicht mehr dauern, dann hat die kleine Karawane unsere Stadtgrenze passiert. Jesus und seine Wanderer kommen nach Jericho. Sie fressen und saufen, heißt es. Sie versammeln zwielichtige Typen um sich, lauter Sünder und Zöllner.

 

Ein Raunen geht durch die Menge. Die Körper unter mir wiegen sich wie in einer einzigen Welle der Ecke zu, um die der Rabbi gleich biegen wird. In meiner Astgabel rücke ich meinen Leib zurecht, als müsse ich mich meines lachhaften Aussehens nie mehr schämen. Plötzlich bin ich sicher, dass dieser Jesus mich finden wird, mich, den Zwergenmenschen hinter Blättern und Früchten. Was verstecke ich mich eigentlich noch?

Und während sich unter meinem Ehrenplatz die Menge teilt, um dem Rabbi zuzujubeln, wird mir ungewohnt warm ums Herz. Für mich gab es heute nur einen einzigen Grund, aus meinem Schneckenhaus zu kriechen: Ihm direkt ins Auge zu schauen, sobald er mich gefunden hat. Es ist, als komme er direkt auf diesen Baum zu, ohne Umschweife.

 

Meine Chance. Mein großer Tag. Ein Mal, ein einziges Mal im Leben befinde ich mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

 

Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.

(Lk 19,5f)

 

Jesus sieht ihn da im Baum sitzen, der sich gar nicht zeigen wollte; jemanden, der sozial ausgestoßen war, nicht anerkannt war, kleinwüchsig war, nicht beachtet wurde – und lädt sich bei ihm zum Mittagessen ein, und schätzt ihn wert. Und die anderen Honoratioren lässt er da stehen. Also das hat mich als Kind sehr beeindruckt. Dieser Jesus war irgendwie ganz präsent, ganz nah bis heute… wie ein Freund an der Seite, der mir Werte vermittelt hat und auch das Gefühl, gesehen zu sein.

 

Für Dagmar Spelsberg-Sühling verdichtet sich in der Geschichte des Zöllners Zachäus die eigene Erfahrung bedingungslosen Angenommenseins, so, wie viele Bibelgeschichten sie widerspiegeln.

 

Also das, was ich spirituell erfahren hab, hat sich schon auch konkretisieren müssen durch reale Menschen, um dann nachhaltig auch in mein eigenes Erfahrungsgut überzugehen. Die Freundschaft zu Jesus hat mich im Grunde, wie Zachäus auch, wachsen lassen. Oder dafür gesorgt, dass ich eben meine Entwicklungsschritte gehen konnte … Auch wenn das im Gegensatz zu den elterlichen Meinungen stand. Ich denke, von unserer Botschaft her … haben wir ja ne Botschaft des grundsätzlichen „Ja!“, der Gnade, die allem vorausläuft. Und wir sind alle Geschwister.
Aber das, was ich an der Botschaft Jesu eben grade so faszinierend finde, ist eben, dass er alle einlädt, miteinander zu sein, und das Abendmahl das ja vorweg nimmt. Deshalb hab ich das auch in der Gemeinde immer sehr befürwortet und sehr gefördert, dass man miteinander mal noch n Kaffee trinkt, oder auch nach dem Gottesdienst, wenn er abends ist, es noch mal nen Sekt gab. … und miteinander gegessen haben. Und so n bisschen versucht haben, ne Willkommenskultur zu leben, in der jeder seinen Platz haben darf.

 

Natürlich haben sie alle gemeckert, frei nach dem Motto „Einmal Zöllner, immer Zöllner. Einmal Halsabschneider, immer Halsabschneider!“ Und natürlich fanden sie mein Verhalten dreist und unverschämt. Ich hätte es wohl nicht für nötig gehalten, meinen Hochsitz zu verlassen und den Jesusleuten entgegen zu laufen wie alle anderen! Ich hätte mich hochnäsig über den Rabbi erhoben, hätte ihn in die Höhe schauen, ihn seinen Kopf in den Nacken legen lassen.

Na und? „Lass sie doch reden!“ sagt Jesus, und bittet mich um ein zweites Glas Wein.

 

Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Kind Abrahams.

Lk 19,7-9

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

 

Lars Gullin, Danny’s Dream, CD-Titel: Lars Gullin: Danny’s Dream
 

06.03.2021
Susanne Krahe