Die Sehnsucht der Fastnacht

Wort zum Tage
Die Sehnsucht der Fastnacht
17.02.2015 - 06:23
05.01.2015
Ulrike Greim

Ab zehn steht die Welt Kopf. Haben ihre Kolleginnen gesagt. Sie ist neu, sie macht mit. Sie findet Karneval doof, aber an normale Arbeit ist heute hier nicht zu denken. Selber schuld, wer was schaffen will. Und sie will nicht negativ auffallen. Hat schon kapiert, was hier so läuft. Von wegen katholisch. Ihr Gott ist der Hoppeditz. Es lebe die Ablenkung.

 

Die Damen der Abteilung waren soweit ok. Sie hatten sich schon zum Kostüme-Nähen getroffen. Sie fand es eine einzige Materialverschwendung. Für einen Auftritt?!? Sie gehen als Pink Ladys.

 

Also nähte sie mit. Die Stimmung war super, es gab Hochprozentiges. Einige Frauen haben es drauf. Wow, was die aus Lila Plastikbeuteln alles zaubern. Gewagt, gewagt. Gestern wurde noch eben der Fahrplan verabredet. Heute, Fastnachtsdienstag früh um zehn, geht es los. Alles ist erlaubt. Ihr schaudert bei dem Gedanken. Aber da hier alle so drauf sind ...

 

Als sie die Likörsammlung sieht, wird ihr prophylaktisch ein wenig übel, aber das legt sich, als sie losziehen. Alle sind dabei. Die Finanzabteilung, der Versand, die Chefetage. Der Vorstandsvorsitzende geht als sterbender Schwan, mein lieber Scholli. Es wird gelacht. Je mehr Schminke, je mehr Alkohol, desto schneller ist man per Du. Bald duzen sich alle. Alle sind beschwingt. Könnte öfter so sein. Ob die sich morgen noch daran erinnern?

 

Der Umzug, die Musik, die Männer verdrehen sich scharenweise den Kopf. Die Mädels gackern. Ihr dreht es sich, sie dreht sich mit. Alles ist erlaubt. Ist doch auch mal gut, denkt sie sich. Endlich mal wieder tanzen und flirten.

 

Gegen Abend kommt ihre Stunde. Sie steht auf einem Tisch und singt. Ihre Lieblings-Udo-Jürgens-Schlager. Und alle schluchzen mit. Sie schreit alles heraus: ihre Riesen-Angst vor der Kündigung, ihren erbärmlichen Kontostand. Ihre Sehnsucht nach Manni, dem Ex.

 

Tosender Applaus. Alle nehmen sie in den Arm. Was für ein Abend.

 

Dafür musste sie hierher kommen. Um das zu erleben. Um aus sich herauszugehen. Endlich die Wahrheit zu schreien. An die Wände zu schmieren. Manni, du Schwein. Und leise zu beten: Gott im Himmel, wenn du lebst, dann bring ihn mir zurück.

 

Am nächsten Tag ist ihr das alte Schneckenhaus zu klein. Sie kommt im Cocktailkleid in die Firma. Die andern lachen. Nicht über sie - mit ihr. Manni war nicht wieder gekommen. Aber ihr altes Selbstbewusstsein.

 

Und Siggi aus dem Versand ist ein patenter Kerl.

 

Und Gott lebt. Und er liebt die Sehnsucht dieser Frau. Und hat auf sie gewartet.

05.01.2015
Ulrike Greim