Väter und Kinder

Feiertag

Gemeinfrei via unsplash.com/Alex Guillaume

Väter und Kinder
Füreinander da, voneinander enttäuscht, aufeinander angewiesen
21.05.2020 - 07:05
15.05.2020
Stephan Krebs
Über die Sendung:

Für die einen Christi Himmelfahrt, für die anderen Vatertag; für manche beides. So oder so, eine gute Gelegenheit, um übers Vatersein nachzudenken. Über wunderbare und verwundbare Beziehungen. In einer Familie kommt man sich viel zu nah, um einander nicht zu verletzen. Väter sind angewiesen, wie ihre Kinder, auf gegenseitige Barmherzigkeit.  

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Einen Vater hat jede und jeder. Manche kennen ihn nicht. Manche mögen ihn nicht oder hassen ihn sogar. Für viele ist der Vater jedoch eine Person, die sie ihr Leben lang prägt und begleitet. Der Vater ist wichtig: als Ernährer, Liebender, Vorbild, Erzieher, Tröster und Beschützer. Später auch als Loslassender und Lebensbegleiter. Das JA des Vaters zur eigenen Person wiegt besonders schwer. Fehlt es, tut das besonders weh.

Junge Menschen betonen immer wieder, wie sehr sie sich am Vater orientieren. Dabei wünschen sie sich einen zugewandten und liebevollen Vater, der für sie da ist, der ihnen zuhört, der sie ernstnimmt – und mehr ist als ein Kumpel oder ein Freund.

 

Soweit noch ganz übersichtlich. Aber man hat nicht nur einen biologischen Vater. Manche haben noch einen Stief-Vater. Viele einen Schwiegervater. Alle haben Großväter. Väter gibt es auch noch über die Familie hinaus. Etwa den Doktor-Vater und den väterlichen Freund. Es gibt mancherorts den Landesvater und für die Kirche die Kirchenväter. So unterschiedlich diese Vater-Figuren sind, eines haben sie gemeinsam: Sie sollen prägende Persönlichkeiten sein, Leitfiguren, an denen sich die Jüngeren orientieren. Vater-Figuren übernehmen Verantwortung – und sind immer für andere da, Tag und Nacht. So lautet zumindest das Ideal. Nahezu übermenschlich.

 

Christen setzen noch eins drauf. Sie sprechen auch Gott als Vater an. Das große Gebet der Christenheit tut das: „Vater Unser im Himmel.“ Doch es lohnt sich genauer hinzuschauen. Dann zeigen sich Unterschiede. Das Alte Testament, die jüdische Bibel, spricht kaum von Gott als Vater. Das wäre zu konkret, es würde gegen das Gebot verstoßen, sich von Gott keine festen Bilder zu machen. Deshalb umschreibt der erste Teil der Bibel Gott mithilfe von vielen poetischen Symbolen. Dabei wird Gott vereinzelt auch mal als Vater bezeichnet oder als Mutter. (Psalm 27,10, Psalm 103,13). Aber niemals direkt so angesprochen.

Das geschieht erst im Neuen Testament. Denn nun hat Gottvater einen Sohn: Jesus Christus. Damit macht sich Gott zum Teil der Welt, nimmt selbst an einem Familiengeschehen teil.

 

Vater – dieses Wort schlägt also einen großen Bogen von Gott über verschiedene Vater-Figuren hin zum leiblichen Vater. Das wirkt sich natürlich aus, daraus wurde eine archaische Familienordnung abgeleitet. Sie liegt auch biblischen Texten zugrunde. Darin ist Gott das Oberhaupt der Welt. Und der Vater ist das Oberhaupt der Familie. Wie Gott die Welt, so hat der Vater die Familie zu leiten – durch Liebe und Strenge, als Vorbild und Tröster.

 

Dieses Familien-Bild ist heute natürlich durchbrochen – zum Glück, wie ich finde, denn es hat auch viel Leid gebracht. Das Vatersein wird überhöht durch die sprachliche und gedankliche Verbindung zu Gott. Viele Väter überfordert das. Es kann sogar gefährlich werden, zum Beispiel wenn Männer nicht nach dem biblischen Ideal der Liebe streben, sondern einen absoluten Machtanspruch über die Familie erheben. Das bringt viel Leid über die Mütter und die Kinder. Und übrigens auch über die Väter selbst, die verhärten und selbst kaum Liebe erfahren.

Deshalb finde ich es gut, dass heute die Familien offener gestaltet werden. Sie bieten mehr Raum für individuelle Persönlichkeiten. Es hat auch hier seinen Sinn, dass das Grundgesetz gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle festschreibt – und keine Hierarchie.

 

Wie sehr Väter prägen können, beweist die Familie Bach, die drei Jahrhunderte lang hervorragende Musiker hervorgebracht hat. Der berühmteste, Johann Sebastian Bach, dessen Väter schon Musiker waren, hat auch seine Söhne höchstpersönlich als Musiker ausgebildet. Einer von ihnen, Carl Philipp Emanuel Bach, hat ein Oratorium komponiert mit dem Titel „Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“. Stücke daraus sind in dieser Sendung zu hören.

 

Musik: „Willkommen Heiland! Freut euch, Väter“

 

Vater – dieses Wort schlägt einen großen Bogen vom himmlischen zum leiblichen Vater. Darum geht es auch in der wohl berühmtesten Vater-Sohn-Geschichte in der Bibel: der Erzählung vom verlorenen Sohn (Lk. 15,11ff). Darin lässt sich ein Sohn sein Erbe vorzeitig auszahlen. Damit verlässt er das Elternhaus und geht davon. Er findet falsche Freunde, mit denen er sein Erbe durchbringt. Als das Geld weg ist, sind auch die Freunde weg. Der verlorene Sohn landet ganz unten. Als er nichts mehr zu verlieren hat, besinnt er sich auf seinen Vater und kehrt zurück. Der Vater hat das alles tatenlos geschehen lassen, bestimmt tief enttäuscht von seinem Sohn. Doch nun, da dieser reumütig zurückkommt, ist er für ihn da. Er geht ihm entgegen, schließt ihn ohne große Worte einfach in die Arme. Dann lädt er ein zu einem großen Fest der Liebe und der Barmherzigkeit.

Diese anrührende Geschichte vom barmherzigen Vater erzählt Jesus als ein Gleichnis. Er will damit also eigentlich etwas über Gott sagen: Gott ist wie jener gütige Vater, der reumütige Söhne und Tochter liebevoll aufnimmt. Das Gleichnis lädt ein zu Gott zurück zu kommen, egal wie weit man sich von ihm zuvor entfernt hat. Es sagt: Gott wird immer wieder JA zu dir sagen und dich in die Arme schließen.

 

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Es kommt ein Konflikt hinzu, den es zwischen Vätern und Kindern häufig gibt: die Eifersucht. Jener gütige Vater hat nämlich noch einen zweiten Sohn. Der ist die ganze Zeit über brav zuhause geblieben und hat mitgearbeitet – wie es sich damals gehörte. Dieser Sohn ist nun sauer – eifersüchtig, denn für ihn hat der Vater noch nie ein Fest veranstaltet. Ich kann ihn verstehen.

Oft ziehen gerade die schwierigen Kinder die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich. Die braven laufen dagegen unbeachtet mit. Das Gefühl, von den Eltern benachteiligt zu werden, schlägt tiefe Wunden in Kinderseelen, die kaum mehr verheilen.

 

Die meisten heutigen Väter wissen das. Und sie mühen sich redlich ihre Kinder gerecht und gleich zu behandeln. Doch jedes Kind verlangt nach einer anderen Zuwendung. Jedes Kind lässt anderes zu, weckt eine eigene Liebe, erlebt seinen Vater anders. Schon die Geschwisterfolge schafft für jedes Kind eine unvergleichliche Situation. Kinder wirklich gleich zu behandeln, ist also gar nicht möglich – und dennoch muss man es versuchen. Kinder merken das. Mein Eindruck ist: Konkurrenz unter Kindern ist oft kein Ruf nach mehr Gerechtigkeit, sondern nach mehr Aufmerksamkeit und Liebe.

Es ist heute schwer Vater zu sein. Manche ziehen es vor, ihre Kinder lediglich zu begleiten, anstatt sie auch zu prägen. Doch damit überlassen sie ihre Kinder anderen. Manche Väter verunsichern ihre Kinder mit grenzenloser Güte. Andere verängstigen sie mit allzu konsequenter Strenge.

 

Dennoch erleben viele – auch ich - das Vatersein als großes Geschenk. Am Vatersein bin ich gewachsen. Es hat mich verändert, Verantwortung für das verletzliche Leben von Kindern zu übernehmen. Die Bibel sagt: Kinder geben dem Leben Glück und Tiefe (Psalm 127,3), und das ist gut gesagt. Kinder bringen aber auch Schmerz. Für sie muss man viel vom Eigenen aufgeben, zumindest eine ganze Lebensphase lang. Kinder ergreifen das ganze eigene Leben und führen einen auch an seine Grenzen.

Zu den härtesten Vater-Prüfungen gehört es wohl, den Schmerz zu ertragen, wenn die Kinder in die Pubertät kommen. Viele wollen dann spüren, wie sehr der Vater sie liebt, indem sie sehen, wie viele Schmerzen er für sie bereit ist zu ertragen. Im günstigen Fall kann man am Ende miteinander neu anfangen. Dann stellt der Vater verwundert fest: Früher waren das mal kleine Kinder, dann Monster. Aber jetzt sind es großartige, erwachsene Menschen, mit denen ich gerne mein Leben teilen möchte.

Vatersein muss man lernen. Und wie es geht, weiß man erst im Nachhinein. Oft genug nicht einmal das. Väter und Kinder stehen einander viel zu nahe um sich gegenseitig nicht zu verletzen. Ohne Barmherzigkeit untereinander geht es nicht.

 

Musik: „Triumpf! Der Sohn des Höchsten sieget!“

 

Väter und Kinder bleiben für immer miteinander verbunden – ob sie wollen oder nicht. Das zeigt sich auch in der Geschichte, die dem heutigen Tag seinen Namen gibt: Christi Himmelfahrt. Im Volksmund hat dieser Tag noch einen zweiten Namen: Vatertag. Das passt, denn man kann das Leben Jesu auch als Geschichte von Vater und Sohn erzählen, die am Himmelfahrtstag wieder zueinander finden.

Das Verhältnis von Gott und Jesus als Vater-Sohn-Geschichte zu betrachten, kann einen verstören. Zumindest aus heutiger Sicht. Denn es beschreibt einen Vater, der seinen Sohn in die Welt schickt und dann tatenlos zuschaut, wie der Sohn leidet und sogar stirbt. Doch das geht an der biblischen Symbolik vorbei. Sie fußt darauf, dass Väter und Kinder nicht nur füreinander da sind, sondern auch füreinander einstehen, in gewisser Weise sogar eins sind. Gott selbst leidet in seinem Sohn mit. Jesus repräsentiert seinen himmlischen Vater.

 

Ewas davon erleben auch Kinder von Politikern, von Lehrern, Pfarrern und von manchen anderen. Sie werden auf ihre Väter angesprochen. „Du bist doch die Tochter oder der Sohn von …“ Und dann kommt meist nichts Gutes. Kinder stehen dann für ihren Vater ein. Und nicht selten stecken sie dabei auch einiges ein.

 

Das gilt im Kleinen, das gilt aber auch im ganz Großen. Es ist ein provozierender Gedanke, den die Bibel reflektiert. Aber er ist richtig: Die Kinder baden aus, was ihnen die Väter einbrocken. In der Bibel heißt es: „Unsere Väter haben gesündigt und leben nicht mehr, wir aber müssen ihre Schuld tragen.“ (Klagelieder: 5,7) Dieser Satz wirkt, als wäre er eigens für die Nachkriegsgenerationen geschrieben. Sie tragen die Folgen der Nazi-Herrschaft bis heute.

 

Bei aller Verbundenheit im Guten wie im Bösen: Natürlich enttäuschen Väter und Kinder einander auch. Klar: Väter erhoffen sich, dass ihre Kinder ähnliche Vorstellungen vom Leben entwickeln wie sie. Oft sollen Kinder sogar das Lebenswerk des Vaters fortführen und den Vater damit über sich selbst hinaus bedeutsam machen. Manchmal sollen die Kinder die ungelebten Träume des Vaters verwirklichen. Aber darin enttäuschen viele Kinder ihre Väter. Und das müssen sie auch – auf der Suche nach ihrem eigenen Weg.

Anders herum auch: Natürlich hoffen Kinder, dass sich ihr Vater für sie und ihre Sicht der Dinge interessiert. Aber das tun nicht alle Väter. Manche sind sie zu sehr mit sich beschäftigt. Viele Väter enttäuschen ihre Kinder. Und das müssen sie wohl auch, damit sich die Kinder auf ihren eigenen Weg machen. Im Verhältnis von Vätern und Kindern können Enttäuschungen nicht ausbleiben. Wie gesagt: Ohne gegenseitige Barmherzigkeit geht es nicht gut.

 

Übrigens: Carl Philipp Emanuel Bach, Musiker in sechster Generation, gab seinem zweiten Sohn zwar den Namen seines berühmten Vaters: Johann Sebastian. Dann ließ er ihn aber Maler werden. Sein anderer Sohn wurde Jurist. Nicht Musiker.

 

Musik: „Ihr Tore öffnet Euch“

 

Eines der Zehn Gebote lautet: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.“ Dieses Gebot lernen Konfirmandinnen und Konfirmanden meist auswendig. Vielen macht es ein schlechtes Gewissen, fangen sie doch gerade an mit der Pubertät. Da ist der Zoff zwischen Vater und Kind von Natur aus angelegt. Ausgerechnet in diesem Moment begegnen die Jungen diesem Gebot. Das ist tragisch. Zum einen, weil Pubertät schon schwer genug ist. Und zum anderen, weil dieses Gebot in erster Linie auf andere zielt: Auf Erwachsene, deren betagte Eltern abbauen und hinfällig werden. Das ist für alle Beteiligten mühsam. In dieser Lage fordert das Gebot: „Ehrt weiterhin Vater und Mutter, die nun nicht mehr stark sind.“ Dabei geht es nicht nur um Liebe und Respekt, sondern auch um Klugheit und Weitsicht. Denn auch die heute Jungen und Starken werden einmal alt sein. Dann brauchen sie die Liebe, den Respekt und die Fürsorge ihrer Kinder.

 

Das nehmen viele bis heute sehr ernst. Und auch wenn es Krankenkassen und externe Pflegekräfte gibt: viele kümmern sich liebevoll um ihre betagten Eltern. Sie nehmen dafür harte Entbehrungen auf sich und leisten Großartiges. Viele verstehen das auch als Zeugnis ihres Glaubens, als ein Stück Nächstenliebe. Doch das birgt auch erheblichen Konfliktstoff. Oft überfordern sich Kinder damit. Zudem entstehen Unterschiede sowohl bei der Last der Pflege als auch bei der Freude an der Nähe. Meist ist eines der Kinder vor Ort und die anderen weiter weg. Dann ist sie schnell wieder da: Die Frage nach der Gerechtigkeit. Wer macht mehr? Wer könnte mehr machen? Wer drückt sich scheinbar, hat aber selbst den Eindruck gar nicht einbezogen zu werden? Wer kann sich besser abgrenzen? Wer kann besser pflegen? Wen bevorzugen die Eltern – und haben es scheinbar schon immer getan? Solche persönlichen Eindrücke können den familiären Frieden nachhaltig vergiften.

 

Väter und Kinder – das ist ein wunderbares und verwundbares Verhältnis. Viel zu komplex, um einander nichts schuldig zu bleiben. Viel zu nah, um einander nicht zu enttäuschen.

 

Deshalb sei an eines zum Schluss erinnert: Mögen sie sich den Begriff VATER mit Gott teilen: Aber Väter sind auch nur Menschen. Das ist eine banale und zugleich fundamentale Erkenntnis. Väter sind angewiesen, wie ihre Kinder, auf gegenseitige Barmherzigkeit. Und sie leben ihre Aufgabe aus der Liebe heraus, die sie selbst empfinden und empfangen. Heute ist ein guter Tag diese Liebe zu zeigen. Es ist Vatertag und es ist Christi Himmelfahrt, der Tag an dem Sohn und Vater im Himmel wieder zueinander finden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

aus dem Oratorium „Christi Auferstehung und Himmelfahrt“ von Carl Philipp Emanuel Bach

15.05.2020
Stephan Krebs