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Lecker Essen
Zwischen Genuss, Haltung und Glauben
09.03.2025 07:05

Essen ist etwas Alltägliches und Schönes, aber auch Zankapfel und Politikum. Für viele ist es zudem eine Frage der Identität und des Glaubens. Wie finden Essen und Haltung zusammen? Dafür hat der Apostel Paulus eine gute Idee.

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Essen ist etwas Schönes. Manche tun sich zwar schwer damit aus gesundheitlichen Gründen. Aber die meisten freuen sich doch auf eine leckere Mahlzeit. Weil sie Hunger haben. Weil sie den Geschmack mögen. Weil Essen oft auch heißt: Pause machen und andere Leute treffen. 

Auf jeden Fall gehört leckeres Essen zu einem Fest dazu. Darüber denkt Britta gerade nach. Sie wird bald 50. Das möchte sie feiern. Mit Familie und Freunden. Der Gedanke daran lässt sie glücklich lächeln: Alle versammelt um eine festliche Tafel, natürlich mit schöner Musik. Doch dann wird ihre Miene ernst. Denn sie merkt: Das ist gar nicht so einfach. 


Britta denkt über das Festessen zu ihrem 50. Geburtstag nach. Auf einem Zettel notiert sie die Gästeliste. Als erstes ihre beste Freundin. Vorsicht: Die muss Gluten-frei essen. Eine andere verträgt keinen Käse. Dann die liebe Kollegin, fast eine Freundin. Sie ist Muslima und wird kein Schweinefleisch essen. Auch Meeresfrüchte sind tabu – wegen ihrer jüdischen Freunde. 

Britta schreibt weiter an der Liste und notiert ihren Sohn. Dabei erinnert sie sich an die Debatte, die sie kürzlich mit ihm hatte. Es ging um Avocados. Die soll man nicht kaufen, sagte er. Denn die kommen von weit her aus heißen Ländern. Dort verbrauchen sie zu viel vom knappen Wasser. Außerdem auf dem langen Weg nach Deutschland auch noch zu viel Treibstoff. Weltverantwortung mit dem Einkaufskorb, so nennt er das.

Als nächstes schreibt Britta ihre Tochter auf die Liste. Die wird darauf bestehen, dass es etwas Veganes gibt. Am besten, wird sie sagen, gäbe es gar kein Fleisch. Dann notiert Britta den Namen ihres älteren Bruders. Denn hört sie schon frotzeln: "Es wird ja hoffentlich nicht nur Soja-Zeug geben, sondern richtiges Fleisch. Etwas für echte Männer." Für seine kleinen Kinder kommt eigentlich nur eine Portion Pommes infrage.

Britta seufzt: "Ein Festessen mit vielen Gästen ist gar nicht so einfach. Eher eine komplizierte Rallye zwischen Gesundheit und Genuss, zwischen Glauben und Haltung. " Dieses Problem hat nicht nur sie. Es gehört zum Alltag in vielen Familien, Kantinen und Kitas. 

Britta erinnert sich: Schon als sie Kind war, gab es Regeln für das Essen. Ihre Mutter warnte: "Achte auf die richtigen Nährstoffe! Vermeide Ungesundes, das macht dich dick oder sogar krank." Oft fiel dann auch der Satz: "Gutes Essen hält Leib und Seele zusammen." 

Heute versteht Britta den tieferen Sinn dieses Satzes besser: Körper und Seele wirken aufeinander ein, sind eins. Darum geht es in der Fastenzeit - jetzt, in den sieben Wochen vor Ostern: Bewusst essen und zeitweilig auf manches verzichten. Das reinigt nicht nur den Körper. Es kann auch eine spirituelle Erfahrung sein. Dann hat Essen sogar etwas mit Gott zu tun. Britta empfindet das intensiv auch im Gottesdienst beim Abendmahl. Dann nimmt sie mit dem Brot und dem Wein etwas in sich auf, das für Jesus Christus steht. So glaubt ihr Körper mit. 

Britta staunt, wie weit die Gedanken wandern, wenn man über Essen nachdenkt. Dann muss sie lachen, denn ihr fallen die Debatten in ihrer Jugend-Clique ein. Die einen wollten immer zu Meckes, zum Fast-Food. Die anderen wollten gepflegt beim Italiener sitzen. Essen ist eben auch ein Stück Kultur und ein Teil der Persönlichkeit. Brittas Mutter würde sagen: "Du bist, was du isst." Dazu nickt Britta und denkt an ihre Tochter. Denn auf die trifft das in besonderer Weise zu.

Brittas Tochter gehört zu den vielen jungen Leuten, die vegan leben. Also nicht nur Fleisch-los, sondern ohne jegliches tierische Produkt. Also auch ohne Eier, ohne Milch und Milchprodukte sowie vieles mehr. Schnell hat Britta verstanden: Das engt den Speiseplan ziemlich ein. Viele klassische Gerichte fallen dann weg oder benötigen Ersatzstoffe. 

Warum nimmt das Brittas Tochter auf sich? Weil sie nicht einverstanden ist, wie Tiere behandelt und getötet werden. Sie will nicht mitverantwortlich sein für die Massentierhaltung und deren Folgen: für Tierleid und ökologische Probleme. Ihr Lieblingsbeispiel sind die Rinder. Für die Fleischproduktion werden zu viele Rinder gezüchtet. Sie tragen erheblich zur Erwärmung des Klimas bei. Außerdem benötigen sie im Futter viel mehr Nährstoffe, als ihr Fleisch später erbringt. 

Brittas Augen glänzen, wenn sie an die Gespräche mit ihrer Tochter denkt. Denn ihr imponiert deren Eifer: Wie sie sich bewusst als Teil der einen Erde sieht, wie sie Verantwortung übernimmt. Wie sie ihren eigenen Lebensstil kritisch befragt. Dass sie auch über Schuld nachdenkt. Tiere sollen nicht gegen ihre Natur genutzt werden oder gar sterben müssen. Diese Haltung findet Britta edel. 

Inzwischen kocht sie auch anders. Sie hat entdeckt, wie viele vegane Produkte es mittlerweile gibt. Viele davon schmecken auch lecker. Doch ganz verzichtet Britta nicht auf das Fleisch. Denn sie denkt: "Wenn alle Menschen vegan leben, würden alle Haustiere aussterben. Denn für Nutztiere ist in diesem Lebenskonzept kein Platz. Das Jahrtausende lange Zusammenleben von Menschen und Tieren würde enden. Das fände Britta schade. 

Sie denkt an die Schafe auf den Deichen an der Nordseeküste. Sie denkt an die Ziegen in den griechischen Bergen und an viele Haustiere. Auch an den Ochsen und den Esel im Stall von Bethlehem. Schade, wenn es die nicht mehr gäbe. Lieber tritt Britta dafür ein, dass Nutz- und Haustiere ein besseres Leben haben, eines, das diesen Namen wirklich verdient. Aber Britta hat Respekt vor der Haltung ihrer Tochter. 

Sie versteht zudem: Den jungen Leuten geht es nicht nur um die Tiere, sondern auch um sich selbst. Im Vegan-Sein finden sie ihre eigene Identität. Damit wollen sie sich abgrenzen von den Älteren, anders sein als sie. Das machen alle jüngeren Generationen so – jeweils auf ihre eigene Weise. Essen ist eben auch eine Frage der Identität – für die einzelnen und für ihre Gruppe.

Britta ruft ihre Gedanken zurück zu ihren 50. Geburtstag und der Gästeliste. Sie murmelt: "Da wird sich ein vielfältiges Grüppchen um mich herum versammeln." Dann überlegt sie: Wird sie sich trauen, zu Beginn ein Tischgebet zu sprechen? Zuhause macht sie das immer - mit ihrer Familie. Alle finden das schön – ein gemeinsamer Anfang, ein Moment zum Innehalten, zum Dankbarsein. Aber kann sie das ihren buntgemischten Gästen zumuten? Da ist sie unsicher.

"In den Religionen geht es nicht nur um das Seelenheil im Jenseits, es geht auch um ein heiles Leben im Alltag." Diesen Satz hat sich Britta gut gemerkt. Gehört hat sie ihn in ihrer Ausbildung zur Religionslehrerin. Der Satz hat ihr gut gefallen: Glaube und praktisches Leben gehören zusammen. Einschließlich Essen.

Deshalb ist zum Beispiel der Verzehr von Schweinefleisch im Judentum und im Islam verboten. Nicht um die Gläubigen zu gängeln, sondern um sie zu schützen. Denn Schweinefleisch verdirbt schnell. Das ist ein wichtiger gesundheitlicher Aspekt, insbesondere in den heißen Ländern, bevor es Kühlschränke gab. 

Das Christentum hat zwar keine festen Speisevorschriften. Dennoch ist es nicht egal, was und wie man isst. Denn wie gesagt: Der Glaube und das praktische Leben hängen zusammen. Damit haben die Christen von Anfang an gerungen. Das kann Britta in der Bibel nachlesen. Es beeindruckt sie, wie der Apostel Paulus versucht, Konflikte zu entschärfen. Mehrmals schreibt er Briefe an christliche Gemeinden, die sich über das Essen streiten.

Dabei ging es noch nicht um moderne Fragen wie Tierwohl und Umweltschutz. Aber den damaligen Christen meinten es mit ihren Themen genauso ernst. Davon kann man für heute einiges lernen.

Da ist das Stichwort kulturelle Vielfalt. Eine Zerreißprobe für viele Gemeinden war die Frage: Müssen alle Christen die jüdischen Speisevorschriften beachten? Unter den ersten Christen stammten viele aus jüdischen Familien. Sie brachten natürlich ihre Lebensregeln mit. Auch die Speisevorschriften, die in der jüdischen Tradition sehr detailliert sind. Daran fühlten sich Gläubige anderer Herkunft jedoch nicht gebunden. Wie konnte man trotz der Unterschiede zusammen Gemeinde sein und gemeinsam essen? Was war christlich gesehen richtig?

Heikel war auch die Frage, die die Gemeinden in Korinth und Rom umtrieb: Dürfen Christen Fleisch essen, dass bei nicht-christlichen religiösen Zeremonien übrigblieb. Es wurde danach zum allgemeinen Verzehr angeboten. War es einfach nur Fleisch, das man günstig haben konnte? Oder war dieses Fleisch durch den rituellen Zusammenhang religiös überhöht und für Christen tabu? War der Verzehr vielleicht sogar giftig oder ein Verrat an Gott? Ein Fall für den Apostel Paulus, den theologischen Chefdenker seiner Zeit . 

Der Apostel Paulus wird gefragt, ob sich Christen nach religiösen Speisevorschriften zu richten haben. Seine Antwort überlegt Paulus sehr sorgfältig. Denn er will weder polarisieren noch vereinfachen. Was er schreibt, kann eine Richtschnur für viele Themen sein. Auch für die heutige Zeit, die so aufgeheizt ist. Als gäbe es nur ein Richtig und ein Falsch. Doch das stimmt oft nicht.

Paulus stellt bei seiner Antwort Jesus Christus in den Mittelpunkt. Als Vorbild im Leben und als Retter im Tod. Von Christus aus überlegt Paulus: Was ist wirklich wichtig und richtig? Sein Ergebnis: Speisevorschriften schaden nicht, sie helfen aber auch nicht. Denn sie sind bei Christus egal. Für Christus zählt einzig und allein das persönliche JA, der Glaube, also das Vertrauen in ihn. Wer das hat, hat alles, was er oder sie braucht. Und ist damit frei. Frei von Ängsten und sogar vom Schrecken des Todes. Auch frei von kultischen Regeln anderer Religionen. Deshalb kann man als Christ über das Essen verschiedene Meinungen haben. Jeder mag essen, was er will. Jede mag in ihrer Tradition leben. Das klingt nach dem modernem "Soll jeder machen, was er will".

Doch Paulus ergänzt einen weiteren Aspekt: Wer an Jesus Christus glaubt, schaut anders auf seine Mitmenschen, ist geprägt von Nächstenliebe. Deshalb ermahnt Paulus die Christen: "Fühlt euch frei. Aber achtet auch darauf, dass ihr mit eurer Freiheit andere nicht beschämt oder bedrückt." Denn das würde zur Nächstenliebe und zum Glauben an Christus nicht passen. Wenn man also merkt: Was ich tue, belastet meine Mitmenschen. Dann lasse ich davon einfach die Finger. Aus Rücksicht. Aus Respekt. Aus christlicher Nächstenliebe. Nicht, weil ich muss, sondern weil ich es will. 

Britta überlegt, was das für ihr Festessen bedeutet: Vermutlich würde ihr Paulus zu einem Buffet raten. Mit Schildern, was es gibt und was darin enthalten ist. Dann können alle das essen, was sie mögen. Das klingt nach einer klugen Idee. Doch leider ist der Friede an der Festtafel damit noch nicht gesichert.

Britta denkt: "Bei meinem Festessen lasse ich einfach jeden essen, was er will." Das klingt einfach, tolerant, friedlich. Und nach der Freiheit, die Paulus meint und Christus schenkt. Aber diese Freiheit hat eben Folgen. Denn sie macht das eigene Leben zu einem Zeugnis für Christus. Dazu passt nicht alles, was man tun kann oder vielleicht möchte. Da spielt auch eine Rolle: Was tut den Mitmenschen gut? Und was kann die Schöpfung verkraften? 

Darauf muss Britta Antworten finden. Ihre eigenen Antworten. Denn eine für alle richtige Antwort gibt es nicht. Zugleich ist es nicht egal, welche Antwort man gibt. Man muss sich schon fragen und auch von anderen fragen lassen: "Wie passt dein Verhalten zu deinem Glauben?" So findet man im Miteinanderreden seinen eigenen Weg. Und der muss nicht automatisch auch für alle anderen der richtige sein. 

Das scheint mir gerade heute wichtig zu sein, denn verschiedene gesellschaftliche Gruppen und politische Lager stehen einander oft unversöhnlich gegenüber. Jedes Lager ist überzeugt von der eigenen Sicht. Manche sind sich sicher, dass nur ihre Sicht die einzig richtige für alle ist. Dabei ist das längst nicht immer der Fall. Oft lohnt es sich, die aus dem anderen Lager zu fragen. Dann stellt man nicht selten fest: Auch die haben Argumente und Informationen und eine Sicht der Dinge, für die etwas spricht. 

Britta überlegt: Wie bekommt man das zusammen? Da ist einerseits meine eigene Haltung. Die gilt für mich selbst gilt und ist mir wichtig. Andererseits gilt für andere: Sie sind frei, manches anders zu sehen. 

Das schlichte "Leben und leben lassen" reicht da nicht mehr, findet Britta. Dafür sind die ökologischen Probleme zu groß und zu drängend. Die bewältigen wir nur, wenn alle mitmachen, die daran ihren Anteil haben. Da kann sich nicht einfach ein Teil der Menschheit zu viele Ressourcen greifen, weil er es kann. Für Britta ist klar: Als Christin will sie nicht mehr beanspruchen als andere. Und nicht die Ressourcen künftiger Generationen verbrauchen. Doch dieser Gedanke überfordert viele. Das erlebt Britta sogar bei sich selbst. 

Sie seufzt: "Wieder so ein Punkt, an dem ich hinter dem zurückbleibe, was ich selbst von mir erwarte." Sie versteht es so: Sie bleibt angewiesen auf Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Zugleich weiß Britta, wohin Gott sie bewegen will. 
Britta ist erschöpft von ihren vielen Gedanken. Zugleich ist sie davon erfüllt. Sie beschließt: Darüber wird sie bei ihrem Geburtstag eine Tischrede halten. Dann wird sie ein Tischgebet sprechen, ein Dank für das Essen und eine Bitte um Barmherzigkeit. Danach wird sie ein Buffet eröffnen. An dem werden bestimmt viele Gäste miteinander ins Gespräch kommen - über leckeres Essen zwischen Genuss, Haltung und Glauben.

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:
1. Carl Philipp Emanuel Bach: Orgelkonzert G-Dur III. Presto 
2.- 3. Giovanni Battista Pergolesi: Konzert für Flöte, Streicher und Basso Continuo, G Major, P. 33, Allegro spirituoso
4. 
Georg Philipp Telemann: Konzert für Viola, G-Dur, TWV 51: G9: 4. Presto
5. Johann Sebastian Bach: Orchester-Suite Nr. 3 in D-Dur, BWV 1068: IV Bourée

6. Georg Philipp Telemann: Konzert für Viola, G-Dur, TWV 51: G9: 2. Allegro