"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Dieser Satz von Hölderlin hat sich bewährt. Stimmt er heute noch?
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Sätze, die Mut machen, sind aktuell besonders gefragt. Viele machen sich Sorgen, was die Zukunft bereithält. Einem Mutmach-Satz begegne ich dabei immer wieder. Er lautet: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch."
Man spürt es: Dieser Satz ist schon etwas älter, gereift und bewährt - Poesie mit Patina. Sie stammt von Friedrich Hölderlin aus dem Jahr 1803. Daran haben sich also schon etliche Generationen aufgerichtet, oft in dramatischer Lage.
"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Das klingt gut, macht Mut. Das erinnert mich an Menschen, die ich kenne. Das Leben mutet ihnen eine Sorge nach der anderen zu. Aber mit jeder neuen Herausforderung scheinen sie nur noch mehr zu wachsen. Sie werden noch stärker und lebenslustiger.
Dagegen erwecken andere den Eindruck, dass sie schon der normale Alltag überfordert, jede weitere Belastung wäre zu viel. Dahinter steht das Prinzip: Kleine Sorgen, kleine Kraft - große Sorgen, große Kraft. Eine psychologische Kraftquelle. Sie hilft, das Leben besser zu bewältigen. Allerdings nur begrenzt, denn alle menschliche Kraft und Zuversicht sind irgendwann doch am Ende.
Hölderlin schöpft seine Zuversicht jedoch nicht nur aus dieser seelischen Kraftquelle. Er hat noch eine andere. Zuversicht ist für ihn auch eine geistliche Kraft. Das wird deutlich, wenn man sein Zitat von Anfang an liest. Es lautet:
"Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch."
Hölderlin hofft also nicht nur, im Angesicht von Bedrohungen selbst über sich hinauszuwachsen. Sondern er hofft auf Gott. Mich berührt, wie er das tut. Nicht mit einem leichtfüßigen Kopf-Hoch. Sondern er formuliert es sperrig: "Nah ist Und schwer zu fassen der Gott."
So erleben das viele: Gott scheint es zu geben. Aber er bleibt schwer zu begreifen. Man kann Gott nicht schlüssig beweisen und auch nicht wirklich erklären. Viele wagen kaum, an ihn zu glauben. Doch gerne würden sie auf ihn hoffen. Zumindest in der Not. Und gerade dann kommt Gott manchen ja auch ganz nah. Unerklärlich nah.
"Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch."
So beginnt Friedrich Hölderlin sein großes Epos mit dem Titel "Patmos". Benannt ist es nach einer griechischen Insel. Dort wurde wahrscheinlich die Offenbarung des Johannes geschrieben - das letzte Buch in der Bibel. Es schaut über das jetzige Leben hinaus und skizziert einen neuen Himmel und eine neue Erde – ohne Tränen, ohne Schmerz, ohne Leid. Dies vor Augen ergründet Hölderlin die brüchige Nähe, die er zwischen Gott und sich wahrnimmt.
Mit dem Patmos-Epos schlägt Hölderlin eine Brücke zwischen seiner pietistisch-protestantischen Herkunft und seinem aktuellen Lebensgefühl. Das war von der Romantik geprägt. Aber es hatte nun Risse bekommen. Der Optimismus der Aufbruchszeit hatte sich verflüchtigt. Die Welt wandelte sich nicht zum Guten, wie es viele Romantiker gehofft hatten. Im Gegenteil.
Was Hölderlin um sich herum sieht, nennt er "das Zürnen der Welt". Was kann er dem entgegensetzen? Das fragt er sich und stößt auf den Glauben, auf das Geschehen rund um Jesus Christus. Dafür sucht er mit seinem Epos nach neuen Worten. Die sollen es ihm selbst und seinen Zeitgenossen neu erschließen.
Ein Gedanke darin fällt mir besonders auf. Den kann ich auch dem heutigen Zürnen der Welt entgegenstellen. Er lautet: Gott ist zwar schwer zu fassen, aber in Jesus Christus doch auch ganz nah. In ihm zeigt Gott, dass er mit seiner Schöpfung nach wie vor etwas vorhat. Sie war zu Beginn gut und soll es auch wieder werden.
Das Wüten der Welt wird also nicht endlos anhalten. Es wird in etwas Neuem aufgehen. Daraus schöpft Hölderlin Zuversicht. Sie ist groß. Er kleidet sie jedoch in einen kleinen Satz. Der lautet: "Alles ist gut." Mich provoziert dieser Satz. Ich will ihn widerlegen – und möchte ihn gleichzeitig für wahr halten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben:
Hölderlins "Patmos" im Wortlaut unter: https://www.gedichte7.de/patmos.html
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