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Geborgen, nicht bespitzelt
"Gott weiß alles." Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?
28.01.2025 06:35

"Du erforschst mich und kennst mich." Dieser Satz aus der Bibel kann nach Ausspionieren oder Datenkrake klingen. Aber das ist ein schlimmes Missverständnis.

 
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Sätze können ganz unterschiedlich wirken. Je nachdem, wer sie sagt und wo. Ein Beispiel: Heute ist der Europäische Tag des Datenschutzes. Wie klingen da diese Sätze: "Du erforscht mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von ferne. Es ist kein Wort auf meiner Zunge das du nicht wüsstest."

Diese Sätze lösen bei vielen vermutlich Unbehagen aus: Ständig im Blick und durchschaut. Da könnte man an einen totalitären Staat denken, der seine Bürgerinnen und Bürger allumfassend ausspioniert.

Oder man denkt an globale IT-Unternehmen, die eine Vielzahl von Daten über ihre Nutzerinnen und Nutzer sammeln. Damit können sie detaillierte Profile erstellen. Das hat durchaus einen praktischen Nutzen und vereinfacht manches im Leben. Aber es ist auch beunruhigend, so analysiert und durchleuchtet zu werden.

Selbst wenn man denkt, man habe nichts zu verbergen: Es bleibt eine unfaire Situation. Denn ich werde beobachtet, kann aber selbst nicht sehen, wer das tut und was mit den Informationen über mich geschieht. Deshalb ist es gut, dass der Datenschutz hier Grenzen setzt und eine gewisse Transparenz schafft.

Doch die Sätze, die ich zitiert habe, stammen aus einem ganz anderen Zusammenhang. Sie stehen in der Bibel, am Anfang von Psalm 139. Mit dem Psalm beschreibt jemand die innige Nähe, die er oder sie zu Gott empfindet: "Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege."

Diese Bibelverse kann man auch als Zumutung erleben. Gerade junge Menschen in der Pubertät, die sich von ihren Eltern lösen. Sie sind auf der Suche nach sich selbst und haben dabei allerlei Geheimnisse. Oft sind sie sich selbst noch ein großes Geheimnis. Für sie kann es schrecklich sein zu denken: "Gott folgt mir überall hin und kennt all meine geheimen Gedanken."

Darüber hat der Psychotherapeut Tilmann Moser ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel "Gottesvergiftung". Darin beschreibt der Autor, wie schlimm es für ihn war, dass diese Bibelverse für Erziehungszwecke missbraucht wurden: Gott wie ein allwissender Übervater, wie eine allgegenwärtige Übermutter, die die totale Kontrolle über ihn hatte. Das erfüllte ihn mit Scham und mit Zorn auf Gott.

Davon muss man sich befreien. Sonst leidet man womöglich sein Leben lang darunter, dass Gott einem wie ein innerer Erzieher vorkommt. Eine Art Über-Ich, so nennen es Psychologen. Es mahnt einen ständig, besser zu werden. Denn es weiß ja, wie es innerlich um einen steht.

Doch darin steckt für mich ein schlimmes Missverständnis. Denn Psalm 139 beschreibt ein ganz anderes Leben mit Gott. Hier redet jemand, der sich befreit hat von pubertären Heimlichkeiten. Der kennt seine Stärken und Schwächen – und steht dazu. Ein reifer Mensch. Er erlebt Gott nicht als Datenkrake, nicht als verlängerten Arm der Eltern, nicht als strenge Über-Instanz der eigenen Psyche.

Vielmehr erlebt er Gott als einen verlässlichen Wegbegleiter. So jemand ist immer da, wenn man ihn braucht. Den hat man gerne um sich, selbst wenn man meint, ihn gar nicht zu brauchen. Der ist wie ein guter Freund oder eine gute Freundin aus Kindertagen. Vor einer solchen Person muss man nichts verheimlichen. Denn man weiß genau: "Die kennt all meine Unzulänglichkeiten. Sie findet auch nicht alles gut an mir. Aber das hält sie nicht davon ab, mich zu lieben."

Wer sich und Gott so sehen kann, spürt: Dieser Psalm vermittelt nicht Kontrolle, sondern eine tiefe Geborgenheit. Und diese Geborgenheit kann gar nicht groß genug sein. Deshalb bittet der Psalm am Ende sogar um noch mehr davon: "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich´s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege." Glücklich, wer Gott so an seiner Seite weiß.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

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