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Sand
Das Schmirgelpapier der Schöpfung
18.08.2024 08:35

"Sand ist das neue Gold", flüstert mir ein befreundeter Architekt zu. Er fügt hinzu: "Aber für mich persönlich ist Sand die größte Bedrohung meines Glaubens." Ich bin überrascht. Sand – so wichtig? Das ist mir neu.

In der deutschen Sprache genießt der Sand nicht gerade den besten Ruf. Das zeigen allerlei Redewendungen. Wer zum Beispiel "den Kopf in den Sand steckt", will etwas nicht wahrhaben. Wer etwas "in den Sand setzt", hat es falsch gemacht. Und wer "Sand ins Getriebe streut", will etwas verhindern.

Interessant ist eine andere Sprachwendung: "Wie Sand am Meer". Das sagt man über etwas, das massenhaft vorhanden ist. Und so etwas gilt meist als wertlos. Das war ursprünglich jedoch anders gemeint. "Wie Sand am Meer" - dieses Sprachbild stammt aus der Bibel. Vor Augen stehen dabei die langen Strände am östlichen Mittelmeer. Sie reichen vom Libanon über Israel und den Gaza-Streifen bis nach Ägypten. Im Ursprungsland der Bibel gibt es mehr Sandkörner, als man zählen kann. Deshalb sind sie ein gutes Beispiel, um zu erläutern, wie ernst es Gott meint, wenn er segnet. Gott sagt zu Abraham:

 "Ich will dich segnen und deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und den Sand am Ufer des Meeres." (1. Mose 22,17).

Ein größeres Glück kann sich Abraham nicht vorstellen. Bis dahin ist er kinderlos – in seiner Welt war das eine Schmach. Fast gleichbedeutend mit einem unerfüllten Leben. Das wird nun ins Gegenteil verkehrt: Sinn im Überfluss. Wie Sand am Meer. Sand ist in der Bibel die irdische Einheit, die der Unendlichkeit am nächsten kommt.

Wertlos ist er deshalb aber nicht. Im Gegenteil. Die scheinbar unzählbar vielen Sandkörner hat Gott doch alle gezählt. Jedes einzelne bezeugt Gottes Schöpferkraft. Gott kümmert sich eben um alles, selbst um das Allerkleinste und Zahlreichste. Das betont die Bibel immer wieder.

Dabei stellt sie den Sandkörnen gerne auch die Sterne im Himmel und die Haare auf dem Kopf zur Seite. Anschauliche Beispiele, die auch Jesus aufgreift, als seine Jünger zu ihm kommen. Sie machen sich Sorgen, denn sie gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. "Was soll aus uns werden?" Das fragen sie Jesus. Der macht ihnen Mut. Sie gehen nicht verloren, denn Gott kennt sie genau. Jesus sagt ihnen:

 "Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt. Darum fürchtet euch nicht." (Mt. 10, 30).

Diesen biblischen Zuspruch greifen viele Lieder auf. Auch moderne Songs tun das. Einer stammt von Bob Dylan. Sein Titel lautet "Every Grain of Sand" – zu Deutsch: Jedes Sandkorn. In dem Song beschreibt Bob Dylan sein inneres Ringen – mit sich selbst und mit Gott. Dabei kommt er immer wieder auf das biblische Trost-Bild vom Sandkorn zurück. In der dritten Strophe heißt es:

 "Ich schaue in das Eingangstor der wütenden Flamme der Versuchung. Und jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme, höre ich immer meinen Namen. Je länger ich unterwegs bin, desto mehr verstehe ich, dass jedes Haar gezählt ist wie auch jedes Sandkorn."

Sand erinnert an Gottes Güte. Doch nicht nur das. Sand lehrt auch Respekt. Das erleben schon die kleinen Kinder. Natürlich im Sandkasten, dem Inbegriff der deutschen Kindheit. Dort findet man die ersten Freunde, die sprichwörtlichen Sandkasten-Freundschaften. Oft halten sie ein Leben lang. Im Sandkasten lernen Kinder, Spielsachen zu teilen. Sie lernen, etwas zu gestalten: Sandkuchen backen und Burgen bauen. Dabei geht es nicht nur idyllisch zu. Denn fast immer finden sich auch Kinder, die die Bauwerke der anderen zertreten. Zerstörungslust - warum auch immer. Dabei wissen sie, wie weh das tut. Für die Eltern ist das eine gute Gelegenheit, den Kindern eine soziale Grundregel nahezubringen: Zerstöre nicht die Sandburg der anderen, denn du willst auch nicht, dass jemand deine Burg zertritt. Dieser Grundgedanke gegenseitigen Respekts stammt aus der griechisch-römischen Antike und aus der Bibel. Er wird die "Goldene Regel" genannt. Behandele den anderen so, wie du auch selbst behandelt werden möchtest.

Sand reizt zum Bauen – schon als Kind habe ich gerne Sandburgen gebaut.

Am liebsten am Meer, auf dem Strand und mit anderen zusammen. Meist nahe am Wasser. Wissend um die Gefahr. Wenn die Flut kommt, rollen die Wellen immer näher heran. Irgendwann reichen sie bis zur Burg. Deren Wände haben wir natürlich dick und hoch gebaut. Doch die Wellen lecken den Sand weg. Nach und nach werden die Mauern schwach. Wir schaufeln wie besessen dagegen an. Bis das Wasser die Burg zum Einsturz bringt. Wenig später ist davon nur noch ein formloses Häuflein übrig. Das Wasser gewinnt – immer. Für mich ist das zum Sinnbild geworden. Versuche nicht, gegen die Natur zu kämpfen, sondern lebe mit ihr. So hat mich der Sand in meine Schranken verwiesen und Demut gelehrt. Auch gegenüber Gottes Schöpferkraft: Versuche nicht, gegen sie zu leben, sondern mit ihr.

Am Strand begegne ich Gott noch auf andere Weise. Dort fühle ich mich der Unendlichkeit näher als anderswo. Das Geheimnis Gottes scheint mir zum Greifen nahe. Ich spüre, wie mein Leben, alles Leben, unendlich groß ist und zugleich winzig klein. Denn hier treffen ganz Groß und ganz Klein direkt aufeinander. Ganz groß sind das weite Meer und der unendliche Himmel. Ganz klein sind die Sandkörner, die zusammen den großen Strand bilden. Ich nehme eine Handvoll davon auf und schaue sie mir näher an. Die helle Masse entpuppt sich als eine Vielzahl einzelner, kleiner Sandkörner. Jedes hat eine eigene Farbe und eine eigene Form. Jedes ist ein kleines Schöpfungszeugnis – und bei Gott wertvoll. Egal wie viele es sind. Die Bibel sagt: Das gilt auch für die Menschen. Jeder eigen, jede wertvoll, egal wie viele sie sind. Die Sandkörner sind ein gutes Bild, um Gottes Fürsorge zu beschreiben. Das findet Bob Dylan offenbar auch. Eine weitere Strophe seines Songs lautet so:

 "Ich höre die alten Schritte wie die Bewegung des Meeres. Manchmal drehe ich mich um. Da ist jemand. Manchmal bin nur ich es. Ich hänge in der Balance der Realität des Menschen. Wie jeder fallende Sperling, wie jedes Sandkorn."

Mit dem Sand umschreibt die Bibel Gottes Fürsorge. Bei meinem Freund, dem Architekten, klappt das allerdings nicht. Eher das Gegenteil. Denn die Sache mit dem Sand erschüttert seinen Glauben. Warum das so ist, hat er mir erläutert. Es hat mit seinem Beruf als Architekt zu tun. Sein Fachwissen passt nicht zu dem, was er an einer Stelle in der Bibel liest. Jesus schließt seine Bergpredigt mit diesem Gleichnis ab:

 "Wer meine Rede nicht beherzigt, der gleicht einem törichten Menschen, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten, da fiel das Haus ein." (Matthäus 7,24ff)

Mein Bekannter, der Architekt sagt: Das stimme so nicht. Sand sei ein guter Baugrund. Und wenn die Bibel an so einem Punkt nicht stimme, dann stimme sie vielleicht im Ganzen nicht. Ich verstehe sein Problem und bin froh, dass er es anspricht. Denn dadurch kann es gelöst werden. Ich erkenne daran einmal mehr, wie wichtig es ist, die Bibel in ihrem Kontext zu lesen und zu verstehen. Und nicht wie ein Gesetzbuch. Aus gutem Grund warnt Jesus vor dem Sand als Baugrund. Dabei hat er jedoch die Umgebung vor Augen, in der er lebt: Steile Berge, weithin karge Landschaften. Oft heiß und trocken. Steine verwittern zu Sand. Der Regen spült ihn ins Tal. Dort entstehen Wadis: flache Sandböden, geschützt und ein wenig fruchtbar. Scheinbar ein guter Ort zum Siedeln. Doch dann kommen die heftigen Regenfälle. Ihre Wassermassen fließen in den Tälern zu zusammen. Dort werden sie zu reißenden Fluten, die alles umwerfen, was auf dem Sand gebaut wurde. Das ist der Hintergrund, vor dem Jesus seine Warnung ausspricht. Solche Wadis mit trockener Sandsohle gibt es in Deutschland kaum. Deshalb taugen die warnenden Worte Jesu nicht als wörtliche Bauanleitung. Dennoch helfen sie als Warnung – auch beim Bauen. Denn auch in Deutschland gibt es enge Flusstäler, bei denen man sich genau überlegen muss, wo und wie man baut. Damit einen das Wasser nicht eines Tages wegschwemmt. Im übertragenen Sinne stellt sich diese Frage auch in anderen Bereichen des Lebens: Ist der Grund tragfähig, auf dem ich etwas aufbauen will - auch bei schwerem Wetter? Meine Beziehung zum Beispiel? Oder mein beruflicher Weg? Oder mein Verhältnis zu Gott? Diese Frage stellt Jesus, indem er vom Sand und vom Häuserbauen spricht. Damit wird nebenbei auch klar, was für die gesamte Bibel gilt: Wer sie verstehen will, darf nicht nur die Buchstaben lesen. Sondern muss nach ihrem Anliegen fragen. Die Bibel ist kein Gesetzbuch, sondern Gottes Wort, verbunden mit einem Schatz von menschlichen Erfahrungen. Dies zu verstehen, hat meinem Bekannten, dem Architekten, gutgetan. Denn nun widersprechen sich Fachwissen und Glaube nicht mehr. Für ihn ist es sicher Gold wert. Doch er meint etwas anderes, wenn er sagt "Sand ist das neue Gold."

"Sand ist das neue Gold." Das sagt mein Freund, weil der Sand auf der Welt knapp wird – und teuer. Natürlich nicht jede Form von Sand. Sondern bestimmte Arten von Quarzsand. Nur sie haben die Eigenschaften, die man für Baumaterial braucht – etwa für Beton. Sowie für die Herstellung von Glas, Silizium und damit für die Elektronik. Und immer öfter wohl auch für die Sandsäcke gegen Überschwemmungen. Anderer Sand ist zwar reichlich vorhanden - etwa in den Wüsten. Doch dessen Körner sind zu klein und zu rundgeschliffen. Sie verfügen nicht über die nötigen Eigenschaften. Die findet man nur bei den Quarzsanden. Der Bedarf steigt rapide, über 80 Milliarden Tonnen pro Jahr weltweit. Nach dem Wasser gilt Quarzsand als der zweitwichtigste Rohstoff der Menschheit. Er führt bereits zu Konflikten. Einer mehr um knappe Ressourcen. Wie man sinnvoll, gerecht und friedlich knappe Ressourcen verteilt – das kann die Menschheit nun auch beim Sand lernen. Wie das nicht gut läuft, ist in Marokko zu beobachten. Das Land möchte mehr Touristen anlocken – insbesondere mit seinen schönen Sandstränden am Atlantik. Dort werden große Hotels gebaut. Dafür braucht man viel Sand. Der wird nachts illegal von den Stränden geholt. Schon die Hälfte davon soll inzwischen weg sein. Am Ende finden Touristen womöglich keinen Sandstrand mehr vor, denn der steckt in ihren Hotels. Ein trauriges Beispiel. Es zeigt, wie widersinnig menschliches Handeln sein kann. Einige verdienen daran. Aber fürs Ganze ergibt es keinen Sinn.

Link zum Artikel Sandmafia plündert in Marokko:

https://www.n-tv.de/panorama/Sandmafia-pluendert-in-Marokko-article21161788.html#:~:text=Eine%20%22Sandmafia%22%20zerst%C3%B6re%20die%20K%C3%BCste,Unep)%20in%20seinem%20j%C3%BCngsten%20Bericht.&text=Etwa%20zehn%20Millionen%20Kubikmeter%20Sand,zu%20vier%20F%C3%BCnfteln%20aus%20Sand.
 

Sand ist nicht nur ein Baustoff in Menschenhand. Auch Gott nutzt den Sand für sein Schöpferwerk. Zwar sind die Körner klein und leicht. Doch das genau ist ihre Stärke. Sandkörner sind reisefreudig. Gerne lassen sie sich mitnehmen vom Wasser und vom Wind. Dabei kriechen sie in jede Ritze. An allem kratzen und schleifen sie herum. Sand kann aus großen Felsen interessante Skulpturen machen. Sandstürme fegen über ganze Landschaften hinweg. Wanderdünen auch, nur viel langsamer. Sand ist eine unaufhaltsame Gewalt – quasi das Schmirgelpapier der Schöpfung.

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:
1.-4 "Every Grain of Sand" (Bob Dylan, 1981, Album "Shot of Love")