Tod ist kein Tabu

Leeres Krankenhausbett

Gemeinfrei via unsplash/ Bret Kavanaugh

Tod ist kein Tabu
Von der Pflicht zu Beistand und Unterstützung am Lebensende
27.11.2020 - 06:35
06.06.2019
Cornelia Coenen-Marx
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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„Der Tod ist das letzte Tabu in unserer Gesellschaft“. Das wissen die, die sich mit dem Altwerden beschäftigen. Und mit der Frage, wie Menschen einander am Ende des Lebens gut unterstützen können. In Familien, in der Pflege, in der Nachbarschaft. Schließlich wollen fast alle zu Hause sterben – und trotzdem sterben die allermeisten in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen und gerade jetzt auf der Intensivstation. Unter medizinischer Aufsicht, an technischen Geräten, oft ziemlich allein. Wir haben den Tod an Experten abgegeben.

Am vergangenen Montag waren wir selbst gefragt. Mit dem Film „Gott“ brachten ARD und Ferdinand von Schirach die Frage nach einem guten Lebensende in unsere Wohnzimmer. Ich finde das richtig. Vielleicht haben Sie auch mit abgestimmt, ob der 78-jährige Herr Gärtner, der über den Tod seiner geliebten Frau nicht hinwegkommt, das ersehnte Pentobarbital bekommen soll. Ich habe dagegen gestimmt – aber es bleibt eine tiefe Verunsicherung. Und ich weiß, es ist diese Verunsicherung, die dazu führt, das Thema den Ärzten, den Politikerinnen und Juristen und auch den Pflegekräften zu überlassen. Denen, die wissen, wie man mit dem Tod umgeht.

Herr Gärtner aus dem Film war nicht krank. Er wollte einfach nicht mehr leben. Da möchte doch jeder, der selbst schon schwere Krisen oder Trauerzeiten überstanden hat, Mut machen. Er hat Kinder und Enkel. Er könnte noch tun, was er mochte. Und Wunden schließen sich, mit Narben kann man leben. Aber wozu, würde Herr Gärtner jetzt sagen. Und: Es gibt keine Pflicht zu leben, sagt eine Juristin in dem Film. Wer schon einmal versucht hat, einen Menschen vom Suizid abzuhalten, weiß: Wenn der andere die ausgestreckte Hand nicht nimmt, kann das nicht gelingen.

Am Ende muss ich die Freiheit des anderen respektieren. Das meint wohl auch das Verfassungsgericht mit seinem sehr liberalen Urteil vom Februar, wenn es vom hohen Stellenwert der Selbstbestimmung spricht. Wenn ich Herrn Gärtner aus dem Film vor mir sehe, macht mich das traurig. Und ohnmächtig. Ich kann nicht einfach Ja sagen zu seinem Sterbewunsch.

Zu den Profis in Sachen Tod und Sterben gehöre ich auch. Ich war lange Gemeindepfarrerin und erinnere mich: Das Leben so zu nehmen, wie es ist - auch mit Trauer und Verletzungen – das war für viele einmal selbstverständlich. In dem Vertrauen, dass all das einen verborgenen Sinn hat.  In dem Vertrauen, in der Gemeinschaft und bei Gott aufgehoben zu sein. Genauso habe ich aber immer wieder Menschen hoffen und beten hören, dass Gott sie endlich zu sich holt. Dieser Wunsch nach Erlösung richtet sich heute an Ärztinnen und Ärzte. Leid geduldig auszuhalten, darin sehen viele – genau wie Herr Gärtner - keinen Sinn mehr.

„Gott“ – so hieß der Film am Montag. Will Gott, dass wir das alles aushalten? Oder spielen wir selbst Gott, wenn wir Menschen helfen, sich das Leben zu nehmen? Bin ich frei – oder bin ich angewiesen, auf andere, auf das, was kommt? Das sind keine Fragen, die sich mit einem Mausklick entscheiden lassen. Denn zur Freiheit gehört Verantwortung. Und Angewiesensein ertrage ich nur, wenn ich gehalten bin. Aber dazu brauche ich Menschen, die mich respektieren und unterstützen. Das einsame Leiden, der Mangel an Pflegekräften und Palliativmedizinern, das Sterben hinter verschlossenen Türen – das ist der eigentliche Skandal.

Seit mehr als 20 Jahren sprechen Kirche, Politik und Fachleute über die Stärkung von Hospizangeboten. Aber geschehen ist nicht viel.  Und Sterbehilfe löst das Problem nicht. Ich fürchte, die neue Rechtslage erhöht die Sorge, anderen zur Last zu fallen. Vielleicht gibt es keine Pflicht zu leben, aber ganz sicher eine Pflicht zu Schutz und Beistand.

Es wird höchste Zeit, die Möglichkeiten für ein gutes Lebensende auszuhandeln. Politisch und persönlich. Sterben und Tod dürfen kein Tabu mehr sein. Kirchengemeinden, Seelsorger und Seelsorgerinnen können viel dazu beitragen. Mit Besuchsdiensten und Letzte-Hilfe-Kursen, mit Nachbarschaftsnetzen und Gebeten. Wenn es darauf ankommt, brauchen wir das Gefühl, dass wir uns verlassen können – auf andere und auch auf Gott.

 

Wenn Sie sich in einer verzweifelten Lage befinden, kontaktieren Sie bitte umgehend die TelefonSeelsorge® ( www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Berater*innen, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufgezeigt haben.

Weitere Infos der EKD zur Begleitung am Lebensende finden Sie hier: https://www.ekd.de/begleitung-lebensende-53429.htm

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06.06.2019
Cornelia Coenen-Marx