Ambivalentes Wasser: tief und erfrischend zugleich

Morgenandacht
Ambivalentes Wasser: tief und erfrischend zugleich
16.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Claudia Aue
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Ich bin ein „Meermensch“. Ein Wassermensch. Ich bin an der Elbe aufgewachsen und lebe jetzt an der Ostsee – nur fünf Minuten gehe ich bis zum Strand. Und dann kann ich ganz weit gucken und das Wasser riechen: Ein bisschen salzig, ein bisschen algig. Ostee eben. Und wo Himmel und Wasser sich berühren – da ganz weit hinten, da ist der Horizont.

 

Hier kann man sich leichter fühlen, nachdenken und ein bisschen zur Ruhe kommen. Im Alltag. Im Urlaub fahren ja auch viele Menschen an die See – den Gardasee oder den Atlantik, ans Mittelmeer oder die Nordsee – und baden kann man auch in einem sächsischen Binnensee. Das Wasser, das Meer fasziniert viele. Mich auch. Aber zugleich macht es mir Angst. Schon immer. Im Wasser möchte ich lieber den Boden noch sehen und fühlen. Sonst wird mir schwummerig. Tief und dunkel. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es da unten aussieht. Und, wenn jemand rausschwimmt, muss ich die Lippen zusammenpressen. Aber meist rutscht es schon raus, das „nicht so weit!“. Hinterher gerufen.

 

Kaum etwas empfinde ich so zwiespältig, wie das Wasser. Menschen fliehen über das Mittelmeer oder einen mexikanischen Fluss und ertrinken. Wasser kann tragen und vernichten. Vielleicht finde ich deshalb die Wassermeditation bei einer Taufe besonders wichtig. Dieser Teil in der Taufe ist ja nicht zwingend und die Worte können variieren. Aber ich spreche mit den Eltern darüber, dass es in der Taufe auch Worte und Symbole dafür gibt, dass es gefährlich werden kann im Leben. Dass nicht jeder Weg gerade und behütet ist.

 

Wir taufen mit frischem, lebendigem Wasser, Zeichen für das Leben, das Gott uns schenkt. Wir wünschen dem Kind damit nicht, dass es mit allen Wassern gewaschen sei, wohl aber mit dem Wasser des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Dass dieses Kind untertaucht und alles von ihm genommen sei, was uns von Gott trennt, und es auftaucht als das Kind Gottes, das wir vor Gott von unserem ersten Atemzug an sind.

 

Das wünschen sich die Eltern für ihr Kind: Dass alles von uns genommen ist, was uns von Gott trennt. Einmal alles abwaschen, untertauchen. Erfrischt und gereinigt wieder auftauchen. So wünscht es dem Täufling die ganze Gemeinde. So wünscht man es allen eigentlich. Täglich. Wie heilsam wäre das, abends eine Art Reinigungsritual zu haben. Und morgens frisch wieder anfangen zu können. Gestärkt und mit neuem Glauben. Dass der Tag gut wird. Dass ich gut mit den anderen umgehe und nicht schon beim Frühstück das erste Mal aus der Haut fahre, weil jemand mich falsch versteht oder die Zeit drängt. Dass ich aufmerksam mit meinen Kolleginnen und Kollegen spreche. Dass ich zuhöre, zuhause und an anderen Orten, verständnisvoll bin. Nachsichtig mit dem Nerd neben mir in der Bahn. Dass ich den Blick in den Himmel nicht vergesse – von mir absehe und mich erinnere, dass es Wichtigeres auf der Welt gibt als einen gewonnenen Streit – oder als das, was andere von mir denken.

 

Stattdessen steckt im Wasser für mich genau das, was ich im Alltag und im Glauben erlebe: Manchmal wird es ganz schön tief und ich muss kräftig und mutig sein, um weiter zu schwimmen. Manchmal fühle ich mich so gottverlasen wie Jona im Bauch des Wals und spüre schon das Schilf auf meinem Kopf, wie Jona es beschreibt. Und dann wieder wächst mir neue Kraft zu. Es ist egal, wie tief es um mich ist. Andere schwimmen mit mir raus und akzeptieren meine Angst. Sind einfach da, nur so.

 

Zu einer Strandtaufe im Sommer brachte der Großvater besonderes Wasser mit. Er hatte es beim Pilgern auf dem Jakobsweg geschöpft und für seine Enkelin aufbewahrt. Gewünscht hat er sich das Lieblingslied seiner Enkelin dazu ‚Weißt du, wieviel Sternlein stehen‘ – und zwar die dritte Strophe: „Weißt Du, wie viel Mücklein spielen. In der heißen Sonnenglut? Wie viel Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut. Gott, der Herr rief sie mit Namen. Dass sie all ins Leben kamen. Dass sie nun so fröhlich sind.“

 

Wir stehen am Strand, taufen dieses kleine Kind, erinnern uns an unsere eigene Taufe. Wir erinnern uns daran, dass Gott uns Menschen alle mit Namen gerufen hat und kennt. Dass uns nichts von ihm trennt – im Wasser und an Land!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Claudia Aue