Auf Engel hören wollen

Morgenandacht
Auf Engel hören wollen
08.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Eberhard Hadem
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Engel kommen meist überraschend, das macht ihre Art so eigen. Hilfe, Trost, Rat – die Sehnsucht danach bleibt manchmal unerfüllt. Oder ihre Erfüllung bleibt lange aus. Umso überraschender, wenn mir plötzlich geholfen wird an Stellen, wo ich es nicht erwartet habe. Überraschung ist die Art eines Engels.

 

Eine Engelerzählung in der Bibel ist anders. Sie hat mich nachdenklich gemacht, ob Engel nicht längst anwesend sind, nur dass sie nicht oder nicht als solche wahrgenommen werden. Es ist die Geschichte von Jakob und der Himmelsleiter. Dort wird erzählt, dass Jakob einen Traum hat. Tagsüber flieht er vor dem Zorn seines Bruders, den er betrogen hat um den Segen des Vaters. Am Abend dieses Tages schläft Jakob ein. Seinen Kopf legt er auf einen Stein. Für mich klingt das, als würde Jakob sich damit selber bestrafen wollen. Wer kann auf einem Stein schon gut schlafen?

 

Anders als es der schwere Stein erwarten lässt, ist Jakobs Traum hell und leicht. Er sieht eine Himmelsleiter, die neben den Stein auf die Erde gestellt ist und mit der Spitze den Himmel berührt. Dann heißt es in der Bibel: Und siehe, Engel Gottes stiegen hinauf und stiegen hinab auf ihr. Immer wenn es etwas Besonderes gibt, fügen die biblischen Autoren diese beiden Worte ein: ‚Und siehe‘. Nicht die Himmelsleiter an sich, sondern dass die Engel auf und nieder steigen, ist das Besondere.

 

Erst dachte ich, ‚auf und nieder‘ sei nur eine Redewendung, etwa so wie ‚hin und her‘ oder von ‚A bis Z‘. Was aber, wenn die Ortsangabe doch wesentlich ist: Erst auf, dann nieder? Das würde bedeuten, dass die Engel schon vorher da waren. Ich bleibe irritiert: Hätte es nicht heißen müssen, dass die Engel, die Himmelsboten, Gottesboten zunächst herunterkommen um dann wieder hinaufzusteigen? Aber nein, wenn es denn so zu hören sein soll, steigen sie erst hinauf, und dann wieder hinab. Das würde bedeuten: Die Engel waren schon da, auf Erden, bei Jakob, vorher schon, bevor er träumt.

 

Zu Ende gedacht, würde das bedeuten: Die Engel könnten auch schon dagewesen sein, als Jakob seinen Bruder betrog – aber von ihnen wird nichts erzählt. Oder haben sie geschwiegen? Als seine Mutter Jakob half, Vater und Sohn zu betrügen – haben die Engel da auch geschwiegen, obwohl sie da waren?

 

Mich führt das zu einem gewagten Gedanken, der zumindest bei Jakob nahe liegt: Engel sind erst dann zu sehen oder zu hören, wenn der Mensch dazu bereit ist: Zu hören und zu sehen. Was für diese Jakobsgeschichte gilt, muss nicht grundsätzlich für alle Engelsgeschichten gelten.

 

Trotzdem macht mich dieser Gedanke nachdenklich, dass Engel manchmal schweigen könnten, wenn der Mensch sich in seinem Handeln verschließt. Womöglich haben Engel auch schon vorher gesprochen, aber sie wurden nicht gehört. Und so schweigen sie – bis der Mensch bereit ist, zum Hören und Sehen. Oder auch gar nicht.

 

War bei dem Attentäter von Halle ein Engel da, schon vor seiner Tat vor einigen Monaten, als er zwei Menschen erschossen hat und ein Blutbad in der Synagoge von Halle anrichten wollte? Und hat der Engel geschwiegen, weil sich der Attentäter in der eigenen Echokammer, im Internet, verkrochen hatte?

 

Ich bleibe hängen bei dem kritischen Potential dieses Gedankens: Ich selbst bin es, der einen Engel daran hindern könnte, seine Botschaft an mich weiterzugeben – weil ich nicht bereit bin zu hören und zu sehen. Vielleicht ist dieser Gedanke selbst ein Engel. Mit dieser Botschaft: ‚Es liegt auch an dir, ob du einem Engel begegnest und ihn hörst.‘

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2020
Eberhard Hadem