Digital kennt kein Vertrauen

Morgenandacht
Digital kennt kein Vertrauen
15.06.2019 - 06:35
25.04.2019
Jörg Machel
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Der Richter muss urteilen: schuldig oder unschuldig. Aussage steht gegen Aussage, die Beweislage ist dünn. Wie soll er sich entscheiden?

Der Beamte sitzt einem Flüchtling gegenüber und hört sich dessen Geschichte über Flucht und Vertreibung an. Aber kommt der Mann wirklich aus Syrien, spricht er nicht einen ganz anderen Dialekt? Alles hängt von seiner Einschätzung ab.

Es gibt viele Situationen, die Menschen vor ganz schwerwiegende Entscheidungen stellen und emotional belasten. Niemand will etwas Falsches tun. Man muss Menschen einen moralischen Anspruch unterstellen und ihnen vertrauen, wenn sie in einem Beruf arbeiten, in dem sie immer wieder weitreichende Entscheidungen treffen.

In schwierigen Fällen versuchen sie sich abzusichern. Als Richter vernimmt man weitere Zeugen, der Beamte bespricht sich mit seinen Fachkollegen, holt den Rat von Dolmetschern ein und verfolgt die aktuellen politischen Geschehnisse in seinem Ressort.

Doch es bleibt eine Unsicherheit und die lastet auf den Entscheidern. Immer stehen sie in der Gefahr sich schuldig zu machen, wenn nicht vor dem Gesetz, so doch vor ihrem Gewissen.

Manche machen ihre Entscheidung von Experten abhängig. In Gerichtsurteilen und Asylverfahren gewinnen die Gutachter eine immer größere Bedeutung.

Das ist für beide Berufsgruppen von Vorteil. Die Entscheider können sich bei ihrem Urteil hinter die Experten stellen. Die Gutachter wiederum sehen sich für das Urteil nicht in der Verantwortung, sie haben ja nur ihre wissenschaftlich begründete Meinung kundgetan.

Und doch bleibt das menschliche Element in dieser Konstruktion bestimmend. Menschen entscheiden auf der Grundlage einer Vielzahl von sachlichen und emotionalen Gründen.

Nun hat es durchaus seinen Reiz, die Unsicherheit des menschlichen Faktors grundsätzlich hinter sich zu lassen, um zu objektiven Entscheidungen zu kommen.

Die sogenannte Künstliche Intelligenz könnte die Lösung sein. Computer entscheiden, Computer zweifeln nicht. Eins oder Null, mehr Möglichkeiten kennen die elektronischen Hirne nicht. Sie lassen sich nicht einwickeln durch den verbindlichen Augenaufschlag oder durch Gesten der Hilflosigkeit.

Algorithmen arbeiten vorurteilsfrei, persönliche Sympathien kennen sie nicht, die Tagesform spielt keine Rolle. Objektivität ist ihr Markenzeichen. Fehler können sich zwar durch eine unsachgemäße Programmierung einschleichen, aber sind sie erst einmal erkannt, so lassen sie sich durch eine Programmanpassung ganz schnell beseitigen.

Doch was sich wie ein Gewinn anhört, könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Sehr schnell könnte ich merken, dass der menschliche Faktor kein Störfaktor ist, den man ausschließen muss, sondern die entscheidende Stellschraube der Menschlichkeit. Spätestens dann, wenn ich selbst betroffen bin.

Der Computer vertraut nicht, der Computer rechnet. Menschen aber brauchen Vertrauen, um leben zu können. Menschen brauchen Vertrauen vor aller Leistung und trotz aller Schuld.

Zuerst muss mir vertraut werden, erst dann kann ich dem Vertrauen gerecht werden. Ist es umgekehrt, dann sperrt man mich in ein Hamsterrad und ich müsste einem Ziel nachrennen, dass ich niemals erreichen kann.

Beobachten kann man das an der Entwicklung von Kleinkindern. Mangelt es dauerhaft daran, werden sie es schwer haben, selbst Vertrauen zu entwickeln und dem Vertrauen ihrer Mitmenschen gerecht zu werden. Bekommen sie genügend Liebe und Vertrauen auf ihrem Lebensweg geschenkt, entwickeln sie sich zu sozialen, mitfühlenden Menschen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

25.04.2019
Jörg Machel