Paul Klee und seine Engel

Morgenandacht
Paul Klee und seine Engel
03.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Eberhard Hadem
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Als er drei Jahre alt ist, malt ‚Paulchen‘, wie er von seinen Eltern genannt wird, zum ersten Mal mit wenigen Strichen eine Figur; sie stellt ein Christkind dar. Es hat keine Flügel, läuft aber mit kleinen Tippelschritten durch den Garten zum Haus der Familie Klee im schweizerischen Bern, wo Paulchen sehnsüchtig wartet. Paulchen glaubt an das Christkind, mit oder ohne Flügel. So entstehen Kinderzeichnungen, in denen vor allem himmlische Wesen ihren Platz haben. Und aus dem Christkind werden im Laufe seines Lebens über 80 Engelbilder.

 

Der Maler Paul Klee und seine Engel – das ist eine besondere Geschichte. Die meisten Engelzeichnungen entstehen 1939, ein Jahr vor seinem Tod, in immer neuen Varianten und veränderter Strichlinienführung. Seine Engel tragen eine Gebrochenheit in sich. Sie sind nicht perfekt, manche sogar menschlich: Sie weinen, lachen, schauen und mahnen.

 

Anmutig sind Paul Klees Engel, aber auch grotesk und voller Symbole. Manchmal sind ihre Körperteile zu klein oder zu groß. Mancher Kopf sitzt ziemlich locker und beweglich. Sie haben winzig kleine oder riesengroße Flügel. Es sind unfertige, unvollkommene himmlische Geschöpfe mit Macken und Kanten, wie sie in der Geschichte der Kunst noch nie gemalt wurden.

Ein morgendliches Stoßgebet (mündlich überliefert) der Nürnberger Dichterin Barbara Bredow spricht aus, was Paul Klee vielleicht auch zu einem Engel hätte sagen können:

 

engel

sag ich

ach engel

jeden morgen

sag ichs

bitte hilf mir

sag ich

schau sie sind alle

wieder da

die prächtigen schwächen

die glitzernden mängel

und die tiefen wunden der angst

alle

ach engel

 

‚Engel im Werden‘ nennt Paul Klee ein Bild. Und das könnte von allen seinen Engeln gesagt werden. Sie wandeln sich. Sie sind noch werdende Wesen. Für ihn haben sie so Anteil an der unvollendeten Schöpfung. Schaue ich Paul Klees Engel an, finde ich etwas von mir selbst in ihnen wieder. Oder das Gegenteil von mir, also das, was ich nicht bin. Sehnsüchtig gesagt: noch nicht bin.

Seine Engel hat er in der Zwischenwelt ‚geschaut‘, sagt Paul Klee. Für ihn liegt zwischen irdischer Welt und höchsten geistigen Welten eine Zwischenwelt. Und Klee ist überzeugt, da Einblick zu haben. Er selbst spricht vom „Reich der Ungeborenen und der Toten, das Reich dessen, was kommen kann, kommen möchte, aber nicht kommen muss, eine Zwischenwelt“ (Boris Friedewald, Die Engel von Paul Klee. DuMont-Verlag 2013, 7. Auflage, Seite 38).

 

Das ist nicht mysteriös. Eine Welt des Möglichen – das leuchtet mir ein. Das noch nicht Erschaffene, das Reich des Ungeborenen, der potenziellen Möglichkeiten eines Lebens. In der Bibel (1. Joh. 3,2) heißt es: Kinder Gottes sind wir; es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Das ist ein Blick, der mich im Herzen berühren kann: Ich als Individuum darf mich sehen in Beziehung zu Gott. Das meint die Bibel, wenn sie vom ‚Kind Gottes‘ spricht: Ich darf mich sehen als ein Geschöpf des Schöpfers. Und seine Schöpfung dauert immer noch an, auch in mir. Ob ich einsam oder gesellig bin, ob ich ein schwaches oder starkes Ego habe, ob ich unglücklich oder glücklich bin – ich lasse es mir und meinen Mitmenschen gesagt sein: Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.

 

So zeigen Paul Klees Engel auch mir: Die Schöpfung ist immer noch im Gange. Und in ihr sind es Gottes Menschenkinder, die noch im Werden sind. Auch ich gehöre dazu: Mit bald 60 Jahren bin ich immer noch ein unfertiger Mensch. Es hat Zeiten gegeben, da war ich sehr ungeduldig mit mir selbst. Heute bin dankbar: Auch ich bin einer im Werden. Und noch immer arbeitet Gott der Schöpfer an mir. Diesen hoffnungsvollen Blick – nicht nur auf mich selbst – haben mir die Engelbilder von Paul Klee beigebracht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2020
Eberhard Hadem