Stille aushalten

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Milan Popovic

Stille aushalten
Morgenandacht von Angela Rinn
30.03.2024 - 06:35
21.02.2024
Angela Rinn
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Der Karsamstag ist der stillste Tag der Karwoche. Aus der Perspektive des Kirchenjahres sogar der stillste Tag des Jahres. Am Karsamstag ist es eine Stille, die den Grundton des Todes hat.

Nach dem letzten Schrei Jesu am Kreuz an Karfreitag, nach den Tränen und den lauten Befehlen der Soldaten herrscht nun: Stille. „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ bekennt das christliche Glaubensbekenntnis. Die Welt ist verlassen. Jesus im Reich des Todes.

Das Kirchenjahr lädt dazu ein, diese besondere Stille zu meditieren. Die Welt hält an diesem Tag den Atem an.

Es ist schwer, Stille auszuhalten.

Wie schwer, fällt mir immer auf, wenn ich ein Konzert besuche oder eine Oper.

Es gibt diesen Moment, wenn der Dirigent oder die Dirigentin den Taktstock hebt. Irgendjemand muss dann doch husten. Oder ein Bonbon suchen. Manche Dirigenten warten dann stoisch, bis wirklich: Stille herrscht. Für einen Moment. Dann erst gibt es das Zeichen für den ersten Ton. Wenn es schon schwerfällt, vor den ersten Klängen einer Symphonie die Stille auszuhalten, wie schwer ist es dann, sich mit der Stille des Karsamstags auseinanderzusetzen.

Die Frage liegt nahe, warum es das überhaupt braucht, diese Sille, diesen Karsamstag, der sich über dem Reich des Todes ausspannt. Warum nicht gleich ins frühlings-fröhliche Ostern springen, am besten gleich ganz ohne Passionszeit und Karwoche?

Das kann man tun. Und doch fehlt dann etwas. Übrigens auch denen, die mit dem christlichen Glauben nichts oder nicht viel anfangen können. Denn jeder Mensch, ausnahmslos, muss sterben. Jeder Mensch muss einmal hinabsteigen in das Reich des Todes. Es hat etwas mit Lebensklugheit zu tun, sich damit auseinanderzusetzen. Deshalb braucht die Gesellschaft Tage, an denen es still ist. Tage, an denen man dem Tod ins Gesicht sieht.

Manchmal haben Kinder eine besondere Sensibilität dafür.

Ich erinnere mich an eine Schülerin aus der 4. Klasse. Große braune Augen, ein schmales Gesichtchen, zehn Jahre alt und sie hat immer nur etwas gesagt, wenn sie es sich sehr gut überlegt hat. Ich habe der Klasse die Frage gestellt: „Warum ist das wohl so im Leben, warum läuft nicht alles glatt?“

Viele Kinder melden sich, nach einer Zeit auch sie, mit ihrem schmalen, konzentrierten Gesicht. „Weil“, meint sie, „wir sonst nicht merken würden, wenn wir glücklich sind.“

Ich schaue sie an, verblüfft über die Tiefe ihrer Weisheit, und sie meint wohl, dass sie es mir noch ein bisschen erklären muss. Erwachsene sind manchmal so begriffsstutzig. „Wenn alles immer gleich ist, dann gibt es keine Höhen und Tiefen. Wenn ich vorher traurig war, und ich hab‘s dann geschafft, dann merke ich auch, dass ich glücklich bin.“ 

Sie hat sich dann noch mal gemeldet. „Meine Oma stolpert jetzt immer über die Schwellen in ihrem Haus“, sagt sie leise. Der Opa ist vor einem Jahr gestorben. Wir werden alle nachdenklich. Die letzte Schwelle ist der Tod. Der Opa hat der Oma oft geholfen. Jetzt ist sie allein. Wer trägt sie jetzt?

Karsamstag. Der stillste Tag des Jahres. Warten, aushalten, bis der himmlische Dirigent den Taktstock hebt und den Einsatz für die große Symphonie gibt. Für den Opa, der gestorben ist, für die Oma, die stolpert, für die Schülerin. Für mich. Für Sie. Nach der letzten Schwelle. Dann darf es Ostern werden.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

21.02.2024
Angela Rinn