Wenn alles ausweglos scheint - Suizid

Morgenandacht
Wenn alles ausweglos scheint - Suizid
11.08.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Silke Niemeyer

Heute vor einem Jahr starb Robin Williams. In seiner Villa in Paradise Cay hatte sich der berühmte Schauspieler das Leben genommen; ein Leben, das für ihn trotz allen Reichtums und aller Beliebtheit nicht Paradies sondern Hölle war. Robin Williams litt unter Depressionen, stemmte sich gegen seine Suchterkrankung, war von Angstzuständen überwältigt und zuletzt von Parkinson eingeholt worden. Der Tod schien ihm der einzige Ausweg aus einem Leben, das ihm ausweglos vorkam.

 

Etwa 10.000 Menschen nehmen hierzulande jährlich diesen Notausgang aus dem Leben. Ungefähr alle fünfzig Minuten also nimmt sich ein Mensch das Leben. Zurück bleiben Angehörige, Freunde, Kollegen, deren Welt aus den Fugen gerät. Auch das kann man in eine nüchterne Zahl fassen: alle neun Minuten verliert jemand einen ihm nahe stehenden Menschen durch Suizid. Das bedeutet: Jeder hat erlebt, dass ein Mensch aus seinem näheren oder weiteren Umfeld sich das Leben genommen hat.

 

Dennoch wird es oft behandelt wie eine Schande. Suizid wird verschwiegen, vertuscht, geheim gehalten. Das liegt an den vielen Schuldgefühlen, die ein Suizid auslöst. Das liegt auch daran, dass die Kirche ihn verdammt und „Selbstmördern“ die letzte Ehre verweigert hat. Schon die Bezeichnung „Selbstmord“ bewies Verachtung, denn Mord, das ist ein Verbrechen. Er galt als schwere Sünde gegen Gott, den Geber des Lebens. Heute haben die Kirchen begriffen, dass der Suizid Ernstfall für den Glauben ist: „Nichts kann uns scheiden von Gottes Liebe.“

 

 

Es ist fast immer übermächtige Verzweiflung, wenn ein Mensch seinem Leben ein Ende setzt. Darum sollte man Suizid auch nicht „Freitod“ nennen. Verstört erzählt eine Angehörige von Briefen und Anrufen, in denen der Mut ihres Vaters gelobt wurde, so etwas zu tun. Es sollte wohl ein Trost sein, noch irgendetwas Gutes im Schlimmsten zu sehen. Doch es war kein Trost, weil es nicht ehrlich war. Der Mut der Verzweiflung ist kein Mut. Den Tod zu wählen, weil man meint keine Wahl mehr zu haben, ist keine Freiheit.

 

Es ist dieses Gefühl, in einem dunklen Tunnel gefangen zu sein, das Gefühl, dass die eigene Lage absolut und vollkommen und für immer ausweglos ist, das Menschen in den Suizid treibt. Da können Außenstehende meinen, es sei doch gar nicht so verfahren, es gäbe doch noch so viele Wege. Nein, in der Sicht des einen verzweifelten Menschen gibt es keinen Weg mehr. Viele, wenn nicht die meisten Menschen, haben schon einmal lebensmüde Gedanken gehabt. Das ist nicht verrückt, das ist normal. Gefährlich wird es, wenn diese Gedanken anfangen sich aufzudrängen, wenn man beginnt konkrete Pläne zu machen und daraus ein Sog, ja ein Zwang wird – wie bei einer Frau, die immer wieder und immer öfter, wenn sie am Gleis steht, das innere Bild hat vor die Bahn zu springen.

 

Es gibt landläufige Irrtümer über den Suizid, die tückisch sind. Vier davon sollte man kennen:

 

Wer darüber spricht, der tut es nicht. Irrtum! Auf zehn Suizidenten kommen acht, die vorher unmissverständlich von ihrer Absicht gesprochen haben.

 

Wer einmal zum Suizid neigt, wird es immer wieder tun. Irrtum! Menschen haben im Allgemeinen nur während einer begrenzten Zeit ihres Lebens den Wunsch sich zu töten.

 

Wenn der Gefährdete besser drauf ist, ist die Gefahr vorbei. Irrtum! Die erleichterte Gefühlslage kann daher rühren, dass der Entschluss jetzt feststeht.

 

Die Frage nach Suizidgedanken treibt Menschen erst dazu, sich etwas anzutun. Irrtum! Und zwar der gefährlichste Irrtum, denn er verhindert das, was am nötigsten ist: Signale nicht übersehen und ein offenes Wort sprechen. Die behutsame Frage nach Suizidgedanken bricht die Isolation auf und unterbricht den Sog der zerstörerischen Gedanken. Ja, manchmal bleiben die Helfer am Ende machtlos. Aber wenn es einen Ausweg aus der Ausweglosigkeit gibt,  beginnt er mit dem offenen Wort.

 

Weil reden manchmal das Schwerste ist, gibt es die Telefonseelsorge. Sie ist Tag und Nacht erreichbar, und sie hilft dabei. Wer keinen Rat mehr weiß, findet hier einen ersten Anker im Strudel der Verzweiflung.

16.06.2015
Pfarrerin Silke Niemeyer