Wenn Gott schweigt

Morgenandacht
Wenn Gott schweigt
26.03.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem

Jesus betet in der Nacht vor seiner Verhaftung im Garten Gethsemane. Er richtet sich in seiner Not an Gott und spricht zu ihm. Es bleibt offen, ob Jesus von Gott eine Antwort bekommen hat. Vielleicht schweigt die Bibel, weil Gott geschwiegen hat.

 

Das stumme Schweigen Gottes auszuhalten, fällt schwer. Auch wenn man die Geschichte nur liest oder hört. Jesus hat oft sehr vertraut mit Gott gesprochen. In dieser Nacht ist Jesus in großer seelischer Not und auch ganz direkt bedroht von Verhaftung und Verurteilung. Umso bedrückender ist Gottes Schweigen, obwohl Jesus sich an ihn wendet.

 

Nur Stille. Wie im Weltall. Wo Planeten kreisen und Sternen verglühen, gibt es nichts zu hören. Denn Schallwellen können sich nur in einem Medium wie Luft ausbreiten. Im Weltraum aber gibt es weder Luft noch andere Gase. Der ganze Kosmos ist erfüllt von leerem Raum, es herrscht Vakuum, absolute Stille. Selbst Kratereinschläge auf dem Mond geschehen geräuschlos. Ein einfaches Experiment zeigt das: Ein Wecker unter einer Glasglocke, der die Luft entzogen wird. Absolut nichts ist mehr zu hören von seinem Klingeln.

 

Zu Gott beten und dabei das Gefühl haben, gegen eine Wand zu reden, sinnlos Worte zu produzieren, die abprallen, die nicht ankommen, ungehört bleiben. Nur Stille. Das kenne ich auch. Das Schweigen Gottes, vor dem ich mich genauso fürchte wie andere Menschen.

 

Mein Gott, warum hast du mich verlassen? In Jesu Worten (Matth. 27, 46) am Kreuz spüre ich das Schweigen Gottes: um Jesus herum, für ihn selbst, war es absolut still geworden.

 

Ich bin überzeugt, dass Jesus keine rhetorische Frage gestellt hat. Jesus fragt Gott ehrlich, schroff, und seine Angst wird greifbar: Warum hast du mich verlassen

 

Manchmal singe ich, wenn ich das Schweigen nicht aushalte. Von der Hoffnung, dass Gott sein Schweigen brechen möge. Worte des holländischen Dichters Huub Oosterhuis finden sich als Lied im Evangelischen Gesangbuch (EG 382):

 

Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;

fremd wie dein Name sind mir deine Wege.

Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;

mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?

Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?

Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.

 

Das Lied bittet Gott: Sprich du das Wort, das tröstet und befreit und das mich führt in deinen großen Frieden. Wenn ich diese Worte singe und bete, lasse ich mit dem Dichter nicht locker und bitte Gott: Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben.

 

Wenn ich mir die Worte des Liedes zu Eigen mache, gelingt es – nicht immer, aber manchmal – die engen Grenzen meiner Vorstellungskraft zu überwinden. Und das Vertrauen in mir weit und groß werden zu lassen, wenn ich Gott bitte, mich für das unbekannte Land aufzuschließen, das keine Grenze kennt.

 

Lass mich unter deinen Kindern leben bedeutet für mich: Zukunft haben. Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.

 

Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete – damit enden das Lied und mein Gebet. Du, Gott, bist mein Atem, wenn ich zu dir bete... Ich kann erleben, in mir spüren, was mein Vertrauen mir zeigen will: dass es Gottes Atem selbst ist, der in mir spricht, wenn ich zu ihm bete. Und ich will glauben wie der holländische Dichter: Gott ist der Atem in mir, wenn ich bete. Er war immer schon da.

 

Ich beginne zu verstehen, was es bedeutet, mich für Gott zu öffnen: vertrauen, dass er bei mir ist – auch wenn er schweigt. Und dass ich vor ihm bin und sein darf, auch wenn ich gleich nichts fühle von seiner Nähe und Macht.

 

Gottes Schweigen auszuhalten, fällt mir weiterhin schwer. Aber der Gedanke, dass Gott auch dann in mir atmet, wenn ich zweifle und in Not bin, hilft mir, sein Schweigen auszuhalten.

27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem