Der Garten und ich

Wort zum Tage
Der Garten und ich
27.07.2020 - 06:20
09.07.2020
Eberhard Hadem
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Der Garten beim Pfarrhaus, in dem ich lebe, ist für mich zuallererst ein Refugium, ein Rückzugsort, ein Ort zum Nachdenken und Atemholen. Ich spüre mehr als dass ich verstehe, wie alles wächst und lebendig ist. Über Pflanzen weiß ich wenig. Ich kann es mir auch kaum merken. Meine Frau hat einen grünen Daumen, wie man so sagt. Wenn ich etwas wissen will, frage ich sie. Sie ist glücklich, wenn ich die zarten Pflänzchen der Primeln vom Gras unterscheiden kann und beim Rasenmähen verschone. Manchmal sitze ich auf einem Stuhl auf unserer Terrasse, hebe meinen Blick nach oben über Hecke und Bäume hinweg, sehe Falken und Tauben am Kirchturm, höre die Glockenschläge. Durch die große Kastanie im Vorgarten ist es im Haus weitgehend kühl, was im Hochsommer sehr angenehm ist. Wenn ich dann den Garten betrete, ist es, wie wenn ich aus einem dunklen Wald heraus eine Lichtung betrete. Ich erlebe körperlich, wie das Sonnenlicht wandert, allmählich alles durchdringt oder sich verbirgt, weil es sich an den Ästen, Zweigen und Blättern bricht.

Ich empfinde das alles als ganz natürlich; und weiß dabei doch, es ist ein Luxus. Ich spüre auf der Haut, wie die Sonne mit ihrer Wärme weiterwandert, wie mich der Garten dem Leben näher bringt. Nur was lebendig ist, was sich entfaltet und bewegt, bringt etwas in Schwingung in mir, weckt Resonanz.

Der Architekturphilosoph Hugo Kükelhaus sagt: Nicht das Auge, sondern der Mensch sieht (Hören und Sehen in Tätigkeit. Zug 1978, Seite 7). Mit allen Sinnen nehme ich wahr, was im Garten wächst. Ich sehe die Blumen in ihren Farben und Formen. Ich rieche, wie sie duften. Ich berühre die Erde, die Zweige, die Blätter. Ich nehme den freien Raum wahr, in dem ich mich bewege. Ich fühle die Wiese, ihre Weichheit, den Wind auf der Haut.

In der Bibel heißt es einmal (Jes. 58, 11): Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Ein göttliches Versprechen an Menschen fern ihrer Heimat, auf der Flucht, voller Sorgen, wie es weitergehen soll; an Menschen, die ein anderes Leben suchen.

Der Bibelspruch lehrt mich, dass ich selber ein bewässerter Garten für andere werden darf, sozusagen ein lebendiger Resonanzraum, mit einem Versprechen nach vorne. Also selber lebendig sein, andere wahrnehmen, Wärme schenken, Lebensfreude teilen und andere so willkommen heißen, wie der Garten mich willkommen heißt. Der Garten lehrt mich eine Willkommenskultur.

09.07.2020
Eberhard Hadem