In die Stille gehen

Wort zum Tage
In die Stille gehen
18.06.2020 - 06:20
30.01.2020
Evamaria Bohle
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Mir fehlen die Worte. Sehr. Der Kopf ist leer. Nur ein paar Hilfsverben lungern noch herum. Sie wissen nicht recht wohin. Die klaren Begriffe, die eindeutigen Formulierungen, die saubere Grammatik und der ordentliche Satzbau sind verschwunden. Subjekt, Prädikat, Objekt - sonst kommen sie, wenn ich rufe, bilden Argumente und Sinnzusammenhänge, bauen Spannungsbögen, setzen Pointen oder verbünden sich zu Bedeutung. Es ist so einfach mit ihnen: Sie stellen kluge Fragen, und alle Satzzeichen wissen, wo sie hingehören.

Doch jetzt ist alles anders. Meine Sprache versiegt. Es gibt nichts zu sagen, ich verliere den Faden, und alle Wege münden in Wortlosigkeit. Ich will drei Minuten schweigen, oder 40 Tage. Oder ein ganzes Leben in der Stille bleiben und endlich die Sprache verlieren?

Bilder, Erinnerungen, Töne oder Melodien. Frische Wut und alte Angst, die kritische Ungeduld. Was machst du hier eigentlich? Wer meldet sich da? Der schwarze Hund, das blinde Pferd oder doch ein Heiliger Geist, der mich in die Wüste treibt? Ich kaure in der Wortlosigkeit und bewege mich nicht. Vielleicht tritt ja etwas in die Stille hinein oder aus der Stille heraus: in meinen Geist. In mein Herz. Schwer zu sagen, wohin es tritt. Mir fehlen die Worte.

Die grasen in der Ferne des endlosen Graslandes, das sich in meinem Gehirn erstreckt, bis zum Horizont und darüber hinaus. Diese Wildnis, aus der das Denken ursprünglich stammt. Heiliges Land, in dem ich nur barfuß gehe, als atmendes Tier unter anderen Tieren, auf der Suche nach etwas, das meinen Hunger stillt. Und die alten Engel grüßen von ferne.

Sie dienen mir nicht, diese Engel. Aber sie sind da, wie die wilden Tiere der Steppe, der Wüste, der Weite. 40 Tage war er dort, Jesus Christus. In der Wortlosigkeit mit Gottes Geist und dem Durcheinanderbringer im Kopf, die mir beide auch so vertraut sind. Ihm dienten die Engel, heißt es.

Und ich spüre, wie mein Herz schlägt, und dass die Schultern sich senken möchten, spüre den kühlen Hauch in der Nase beim Einatmen und den Boden unter meinen Knien. Dann möchte ich Danke sagen. Für das Schweigen, die Stille, die treuen Worte, die das Weite suchen für mich, damit es still werden kann. Endlich still. Danke.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Evamaria Bohle