Gesäte Liebe

Wort zum Tage
Gesäte Liebe
18.05.2020 - 06:20
15.05.2020
Sabrina Greifenhofer
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

An diesem Ort wächst nichts, bleibt nichts am Leben, ist nichts zu ernten. Das haben die Vormieter Dorothea über das alte Pfarrhaus erzählt. Die Vormieter waren nicht lange da, die Mieter davor flohen aus der DDR. Sie verließen das Haus in dem kleinen Brandenburger Dorf vom einen auf den anderen Tag.

Ein Ort ohne Leben, ohne Wärme, ohne Zuflucht. Was war mit diesem Haus los? Auch Dorothea erlebte anfangs: Im Garten hinter dem Backsteinhaus schlug nichts Wurzeln, was sie pflanzte. Nichts ging auf, was sie säte. Die hohen Räume im Haus waren kalt, die Wände kahl und sie hallten gespenstisch.

Ich konnte nicht fassen, was Dorothea mir erzählte. Vier Wochen durfte ich mit ihr und ihrem Mann in dem Pfarrhaus leben. Für mich war dieser Ort ein Stück Himmel auf Erden. Im Garten lebten zwei Schafe – Heinz und Hugo. Und die beiden hatten so viel Auswahl an Fressmöglichkeiten, dass Dorothea und ihr Mann die beiden Sturköpfe regelmäßig von Sträuchern und Pflanzen wegscheuchen mussten. Astern blühten in Blau und Rosa, zwei Weiden ließen ihre Äste auf das grüne Gras hängen. Lavendel spross aus den Beeten. Es gab eine Kräuterschnecke und mehrere Wasserstellen mit Fischen. Für mich der Traum eines Gartens. Und alles andere als ein Ort ohne Leben. Was war passiert?

Dorothea und ihr Mann hatten sich des Hauses angenommen. Sie hatten unermüdlich im Garten umgegraben und gepflanzt. Dorothea hatte Vorhänge für die kahlen Fenster genäht, ihr Mann hatte die kalten Wände gestrichen. Sie hatten Andachten im Haus gefeiert. Sie hatten Musik in die hallenden Mauern gebracht, hatten zu Essen eingeladen. Sie hatten Haus und Garten mit Leben und Liebe gefüllt.

Dieses Pfarrhaus hat mir vorgeführt, was eine Zeile aus einem Lied bedeutet, das ich gerne singe, aber bisher nicht ganz verstanden habe: „Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün“. In diesem Pfarrgarten im Brandenburger Land machte die Zeile plötzlich Sinn. Liebe kann überall sprießen. Liebe ist nicht klein zu kriegen. Ihr Korn wird auf die Erde geworfen, es versinkt und erscheint wie tot. Aber wird es weiter umsorgt und gegossen, sprießt ein Weizenhalm daraus hervor. Frisch und grün, in kühler Brise hin und her schwankend, als wollte er winken und sagen: Hier bin ich, ich gehe nicht weg.

Anders als die Vormieter konnten Dorothea und ihr Mann Liebe an diesem Ort säen. Sie haben sie umsorgt, sie wachsen sehen und ihre Früchte geerntet.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

15.05.2020
Sabrina Greifenhofer