Das Böse und ich

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Pixabay/ Stux

Das Böse und ich
mit Pfarrer Eberhard Hadem
23.08.2022 - 06:20
11.06.2022
Eberhard Hadem
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Ich höre Kriegsnachrichten aus der Ukraine. Und ich lese Rachewünsche in den Psalmen der Bibel. In denen Menschen in ihrem Herzen auf mörderische Gedanken kommen. Offenbar aus Verzweiflung. Ich frage mich, wie ich Krieg und Rache mit der Vorstellung von einem Gott vereinbaren kann, der das Leben will und nicht den Tod.

Wenn ich einen sogenannten Rachepsalm lese oder ihn laut nachspreche, erschrecke ich vor mir selbst: Ich fürchte, ich habe verlernt, das Böse in seiner ganzen Brutalität und Härte zu sehen. Weil ich mir angewöhnt habe, das Böse psychologisch und pädagogisch zu erklären, es zu verstehen und verständlich zu machen. Weil ich daran glauben wollte, dass nur wenige Schritte der Einsicht und des Willens nötig seien, um auf die Seite des Guten zu wechseln. So wollte ich glauben, dass auch Putin einsichtig sein könnte, dass er den Krieg nicht wollen würde.

Ich habe mich getäuscht. Nicht nur ich. Die Selbsttäuschung war eine weitgehend westeuropäische selbstgemachte Blindheit. Ich lebe 2000 Kilometer vom Krieg entfernt. Dass ich mich getäuscht habe, kostet mich ein paar Worte des Eingeständnisses. Ich bin kein Opfer des Krieges. Was das aber für die Opfer des Bösen bedeutet, die mit Leib und Leben dafür bezahlen, wird mir bewusst, wenn nur wenige Flugstunden entfernt in Europa abscheuliche Kriegsverbrechen begangen werden.

Es ist noch nicht so lange her, dass ich geglaubt habe, es sei möglich und besonders christlich, das Böse zu zähmen oder gar zu umarmen. Ich denke an eine Skulptur des Künstlers Reinhard Fuchs: Der Drachentöter, der heilige Georg, ist von ihm so gestaltet worden, als würde der Ritter den Drachen beinahe zärtlich umarmen – und ich habe die Augen davor verschlossen, dass die andere Hand Georgs das Schwert schwingt, um den Drachen zu töten.

Ich bin wirklich verunsichert: Ist alles verkehrt, was ich als Christ über den Frieden gelernt und geglaubt habe? Ich ertappe mich dabei, dass ich gerne zurückkehren würde in die Friedenslogik der Bergpredigt Jesu: Die Feinde lieben, linke Wange auch hinhalten. Als hätte ich damit einen Ausweg im Denken gefunden, ein Schlupfloch, durch das ich verschwinden könnte, als könnte ich mich verstecken vor der Realität. Oder sogar diese Realität des Bösen verschwinden lassen.

Aber das Böse verschwindet nicht. Bis jetzt habe ich keinen Weg gefunden, Rache und Krieg und Gott zusammenzudenken. Die Feindesliebe, von der Jesus spricht, bleibt weiterhin meine Herausforderung. Aber sie ist anders und viel schwieriger, als ich bisher dachte. 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Eberhard Hadem