Veränderungspotentiale entdecken

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Mahdi Dastmard

Veränderungspotentiale entdecken
mit Pfarrer Eberhard Hadem
26.08.2022 - 06:20
11.06.2022
Eberhard Hadem
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Angesichts der Bilder vom Krieg in der Ukraine gehen mir Gedanken über Rache und Vergeltung nicht aus dem Sinn. Wenn ich als Mensch zum Himmel schreie, was himmelschreiend ist, will ich Gott daran erinnern, dass seine Gerechtigkeit zuerst den Opfern von Krieg und Gewalt gilt. Ich wende mich an den Gott, von dem ich in der Bibel höre und im Glaubensbekenntnis spreche, dass er richten wird „die Lebenden und die Toten.“

Die Toten und die Lebenden – das bedeutet: Gott richtet auch mich. Nicht erst, wenn ich tot bin, sondern während ich lebe. Heute. Jetzt. Ich entdecke in der Vorstellung von Gott als Richter, dass da noch etwas offen ist. Für mich. Gott richtet, indem er mich dazu bringt, ehrlich bei mir selbst hinzuschauen. Und er zeigt mir, wonach ich mich ausrichten kann. Im Gespräch mit Gott, im Beten, das eigene Veränderungspotential entdecken – damit der Eberhard Hadem, der zu beten begonnen hat, ein etwas anderer sein könnte, wenn er am Ende sein Amen spricht.

Die Psalmen der Bibel sind mir dabei eine Hilfe. Sie stellen Worte, Bilder und Vorstellungen zur Verfügung, die ich wie innere Räume durchschreiten kann. Da gibt es die schönen Wohnzimmer und hellen Küchen, in denen unser Mund voll Lachens ist (Ps. 126,2). Aber auch das Schlafzimmer des widerständigen Trostes, wo ich mich im Bett verkrieche, Decke über den Kopf, und Schutz suche bei Gott: Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. (Ps. 73, 23.25f.)

Es tut gut, wenn ich das hoffen und glauben kann. Doch es gibt auch die dunklen Keller im Haus, wo ich vor mir selbst verborgen halten möchte, wie ich auch bin: Ich – wie C.S. Lewis das mal gesagt hat – das wilde, gierige, verängstigte Geschöpf, das sich in der Seele bald duckt, bald bläht [und] zu töten (1) bereit ist, in Gedanken und Träumen den anderen vernichtet, weil es von ihm zuvor tief verletzt worden ist. Diese Wahrheit, diese Selbsterkenntnis habe ich unten im Keller in Kisten verpackt und in die dunkelste Ecke geschoben. Gott, mein Richter, führt mich genau dorthin, wo ich mit Teilen meines Selbst konfrontiert werde, mit denen ich nicht zurechtkomme.

Eines weiß ich mit Gewissheit: In diese abgründigen Keller kann ich gehen, weil Gott mich durch die anderen Räume führt, die von dem warmen Licht seiner göttlichen Liebe erfüllt sind. In denen der vertraute Tisch, an dem ich mit Freunden sitze, oder die Decke, die mich schützt, mir bezeugen, dass ich ihm, meinem Gott, vertrauen kann, dass ich in seiner Nähe geborgen bin. Trotz meiner Kisten im Keller. Und mit ihnen.

 

(1) C.S. Lewis, Das Gespräch mit Gott. Gedanken zu den Psalmen, Benziger-Verlag 1978 (1959) Seite 119

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.06.2022
Eberhard Hadem