Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen
Es geschah zu später Stunde in unserem Sitzungsraum. Eine Sitzung des Kirchenvorstandes war zu Ende gegangen. Zwei Mitglieder waren aber zu einem Gespräch zurückgeblieben. Nach einer Weile war das beendet und sie brachen auf.
Ich ordnete gerade meine Papiere, als sie etwas aufgeregt zurückkamen. „Da draußen steht einer vor der Tür. Was sollen wir machen?“ fragte einer von ihnen. – „Bring ihn herein, wenn er hereinwill!“ antwortete ich. Sie brachten ihn herein. Ein ungepflegt aussehender Mann in Klamotten, die schon bessere Tage gesehen hatten, stand vor mir. Sein Atem roch ziemlich nach Bier. Und er heulte Rotz und Wasser. „Nun habe ich endgültig die Nase voll!“ schluchzte er, „ich mache das nicht mehr mit. Ich bring mich um.“ Ich setzte mich mit Manni hin. So nannte sich dieser Mann.
Mir wurde schnell klar: Da steckt mehr dahinter als zwei, drei Bier zu viel. Aufs Geratewohl fragte ich ihn: „Ist deine Frau abgehauen?“ Er nickte heftig und schluchzte dabei tief auf. Diesen Gedanken konnte er offensichtlich nicht ertragen. Ich versuchte, ihn zu trösten. Manni blickte auf. „Was ist das eigentlich hier?“ fragte er, „eine Kirche?“ „Ja.“ Er schaute mich etwas betreten an. „Und was bist du? Bist du der Pastor?“ – „Ja.“ – „Eine Kirche“, sagte er, „Mann, so etwas habe ich lange nicht mehr von innen gesehen. Und hier macht Ihr auch den Gottesdienst?“ „Nein“, antwortete ich, „dann wären wir ja eine Minigemeinde.“ – „Na, dann zeig mir doch mal eure Kirche!“ Ich stand auf und zeigte ihm den Gottesdienstraum. Er war beeindruckt. Als wir uns dem Abendmahlstisch näherten, fragte er: „Was ist denn das für ein dickes Buch!“ – „Eine Bibel“, erklärte ich. „Was steht denn da drin? Darf man das lesen?“ – „Aber ja doch.“ – „Dann lies mir doch mal etwas vor!“ forderte er mich auf.
Das war mir sehr recht. Ich schaute die Seite an, die gerade aufgeschlagen war. Es passte, fand ich. Ich las die Worte aus Psalm 121: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Ich schaute Manni an. In seinen Augen standen dicke Tränen. „Gilt das auch für mich, dass der da oben mir hilft?“ – „Ja, Manni“, sagte ich, „das gilt auch für dich.“ Er sah mich lange an. Dann drückte er mir die Hand, murmelte „Danke!“ und verschwand.
Wenige Tage später sah ich Manni an einer Bushaltestelle wieder. Er erkannte mich und grüßte mich kurz und etwas verschämt. Er genierte sich wohl wegen seines nächtlichen Besuchs. Aber er hatte wenigstens einmal die Kraft erfahren, die aus dem Wort Gottes zu empfangen ist.
Es gilt das gesprochene Wort.