Pünktlich haben sich 20 Menschen im Gemeindesaal versammelt, vor sich ein Namensschild, Papier, Schreibzeug und ein Hefter. Das Handy liegt griffbereit daneben. Es sind Menschen jeden Alters, die meisten von ihnen sind Frauen. Ein paar ältere Herren sitzen auch in der Runde, dazu fünf Kinder im Schulalter.
„Ich bin eine Mutter, ich habe Kinder“, beginnt die Lehrerin den Unterricht. Christine, so heißt sie, hält dabei zwei Karten hoch, beschriftet mit den Worten „Mutter“ und „Kinder“. „Hast Du Kinder, Oleksandr?“ Der Angeredete versteht nicht gleich und seine Sitznachbarin flüstert ihm etwas auf Ukrainisch zu. Dann nickt er: „Ich…zwei Kinder!“
Initiative
Die Atmosphäre ist hochkonzentriert. Die Erwachsenen haben ihre Mühe mit der ungewohnten Unterrichtssituation. Den Kindern fällt es leichter, die Vokabeln zu behalten und die fremde Sprache zu nutzen, ob der Satzbau nun richtig ist oder nicht. Etwa anderthalb Stunden lang machen sich alle vertraut mit „Vater, Mutter, Eltern, Familie, Kind“ und bilden erste Sätze. Nur dann, wenn ein Handy aufleuchtet, wird ohne zu zögern leise telefoniert. Noch wichtiger als der Sprachunterricht sind neue Informationen; alle hier sind in Sorge um Familie und Freunde in der Ukraine.
Der Sprachunterricht hat in einem ganz kleinen Kreis angefangen: Mit einer einzigen Flüchtlingsfamilie, die privat untergekommen war. Die Gastgeber verständigten sich mit Hilfe einer Übersetzungs-App, aber die Gäste wollten bald mehr. Der befreundete Leiter einer Sprachschule wusste Rat. Er war bereit, zusammen mit anderen Freiwilligen ehrenamtlich Unterricht zu geben; die Kirchengemeinde vor Ort stellte den Saal zur Verfügung. Inzwischen findet sechsmal in der Woche Unterricht statt und die Gruppen werden immer größer. Die meisten finden über Mundpropaganda hierher.
Mehr als Lernen
Besonders beliebt sind die Kurse am Donnerstag: Da setzen sich nach dem Unterricht alle zusammen, essen gemeinsam und tauschen sich aus. Es gibt Suppe und Lebensmittel, die von Ehrenamtlichen gerettet wurden. Ein Junge sagt auf Deutsch: „Das schmeckt so lecker!“
Zum Ende des Unterrichtes hat sich Christine etwas einfallen lassen. Sie verteilt Karten mit einzelnen Worten, lässt sie der Reihe nach vorlesen und erklärt sie: „Himmel - Erde - Sonne - und - Licht - und - der - Frühling - zaubert - neues - Leben - und - ein- Lächeln - in - Dein - Gesicht“.
Mit ausdrucksvoller Gestik gelingt es ihr tatsächlich, bei dem Wort „Lächeln“ auch ein Lächeln ins Gesicht ihrer Schüler und Schülerinnen zu zaubern. Dann singt sie die Melodie, denn das Ganze ist ein Lied. Beim Mitsingen allerdings tun sich die Anwesenden schwerer. Aber Christine verspricht: Sie werden dieses Lied wiederholen im nächsten Unterricht und von Mal zu Mal wird ihnen das Singen leichter fallen.
Pfingstwunder
Beim Verabschieden spricht einer der Männer Christine auf Englisch an: Er sei Akkordeonspieler und würde sie gern begleiten. Aber bei der Flucht sei sein Instrument in Kiew geblieben. Vielleicht kann man irgendwo eins ausleihen?
Das bekommt der ehrenamtliche Kursleiter mit, der den nächsten Unterricht übernimmt. „Bei mir steht eins, das verstaubt nur. Ich bringe es beim nächsten Mal mit!“ Der Ukrainer nickt und lächelt, nun schon zum zweiten Mal. „Danke!“
Ja, der Frühling verzaubert und bringt neues Leben hervor. Und wenn der Sommer anbricht, setzt Pfingsten ein weiteres Glanzlicht. Wieder gibt es Grund zum Feiern: Menschen lernen, einander zu verstehen, überwinden Sprachbarrieren und geben dem Wunder Raum.