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Die Sendung zum Nachlesen:
Wenn ich mir etwas nehme, dann habe ich mehr als zuvor. Das kann ein Apfel sein, den ich mir nehme, oder: „Die Freiheit nehme ich mir.“ Aber dieses Wort kann sich in sein Gegenteil verkehren. Das fiel mir auf, als ich im Bekanntenkreis hörte, jemand habe sich das Leben genommen. So beschreibt man einen Suizid, wenn sich jemand selbst tötet. Aber: Ist das nicht der Verlust des Lebens? Wie kann ich dazu sagen, dass sich jemand das Leben genommen hat! Er oder sie hat es doch vielmehr aufgegeben, verloren – jedenfalls nicht genommen. Wie kommt es zu diesem paradoxen Wort?
Heute sagen viele: „Mein Leben gehört mir. Damit kann ich machen, was ich will.“ Doch unserer Gesellschaft liegt ein anderes Bild vom Menschen zugrunde. Es ist christlich geprägt und sagt: Du hast dein Leben nicht selbst geschaffen, es liegt nicht allein in deiner Hand. Das Leben wird dabei als Auftrag Gottes verstanden und findet darin auch seine Würde.
Der Apostel Paulus geht noch einen Schritt weiter, er sagt: „Wer an Gott glaubt, lebt sein Leben für Christus und Christus in ihm.“ Paulus sieht das Leben also als Hoffnung auf Christus. So gesehen ist jeder Suizid ein Versagen dieser Hoffnung, ein trauriger Verlust jedenfalls an irdischem Leben.
Früher haben die Menschen Suizid anders gesehen. Sich selbst zu töten war geächtet und sogar verboten. Eine autoritäre Gesellschaft löst Probleme eben autoritär, also mit Verboten. Leider neigen auch die Kirchen in autoritären Gesellschaften dazu selbst autoritär zu sein. Sie haben früher mitgemacht beim Ausgrenzen. Menschen, die sich das Leben nahmen, wurden nicht auf den regulären Friedhöfen bestattet, sondern außerhalb. Nur die Verstorbenen drinnen konnten auf die Auferstehung von den Toten hoffen. Außerhalb drohten die Kirchen mit Verdammnis. Damit haben die Kirchen damals viel Schuld auf sich geladen, sie haben es versäumt sich um die Betroffenen zu sorgen. Vor deren Suizid und danach.
Das eigene Leben galt damals als Eigentum Gottes, der Kirche oder der Obrigkeit - wer sich dieser Deutung seines Lebens entziehen wollte, nahm es sich. Nur im Tod, so schien es, hatte man sein Leben wirklich in die eigene Hand genommen.
Dieses alte Verständnis wirkt in der Sprache bis heute nach, obwohl es zum Glück längst Vergangenheit ist. Seit langem kümmern sich Gesellschaft, Kirchen und Angehörige um suizidgefährdete Menschen. Suizide sind nicht selten: Allein in Deutschland geschehen über 10.000 pro Jahr, also ein Mensch pro Stunde. Noch zehnmal häufiger versuchen es Menschen. Für sie gibt es viele Hilfsangebote, darunter auch die Telefonseelsorge. Bundesweit und jederzeit erreichbar unter der Telefonnummer 0800.1110111. Eine Krisenbegleitung oder Therapie kann helfen, dass aus der behandelten Person eine handelnde Person wird, die noch etwas vorhat. Die aus ihrem inneren Gefängnis herauswill und wieder Interesse entwickelt für etwas, das außerhalb ihrer selbst ist: Kinder, Enkel, der Fußballverein, eine Kirchengemeinde oder anderes. Das hält am Leben. Für dieses Mal. Oder für immer.
Wer mit dem Leben hadert, muss es sich also in einem umgekehrten Sinn nehmen: nehmen, um es zu lieben und zu gestalten. Es ist kostbar. Wie kostbar drückt für mich der Gedanke aus: Es ist ein Auftrag Gottes.
Im Vertrauen auf Gott gelingt es mir leichter, mir in diesem anderen Sinn das Leben zu nehmen: Dazu gehört für mich, Ansprüche, die mich quälen, von ihrem allzu hohen Sockel herunterzuholen. Gottes Barmherzigkeit nimmt Druck raus, denn sie sagt: Du musst nicht perfekt sein. Die anderen sind es auch nicht. Mühe geben reicht. Das ganze Leben ist nicht perfekt, aber es steckt voller Chancen.
Ich bin sicher: Gott hat jedes Leben geschaffen, damit es in diesem Sinne genommen und gelebt wird. Jedes Leben ist es wert, dafür zu kämpfen und es lieben zu lernen.
Es gilt das gesprochene Wort.