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Was am Ende zählt, so sagt Jesus seinen Gefolgsleuten, ist allein dies: wie ihr euch gegenüber denen verhalten habt, die eure Hilfe, eure Solidarität brauchten. Habt ihr einem Bedürftigen eure Hilfe verweigert, so habt ihr sie mir verweigert und habt ihr ihm geholfen, so habt ihr mir geholfen.
Denn: hungrig war ich, und ihr habt mir zu essen gegeben, durstig war ich, und ihr ließet mich trinken, ein Fremder war ich, und ihr führtet mich ein, nackt – und ihr kleidetet mich, krank war ich, und ihr habt nach mir gesehen, im Gefängnis war ich, und ihr kamt zu mir. (Matthäus 25,35+36 Eugen Drewermann)
Gefangene zu besuchen, das ist eines der Werke, der Barmherzigkeit, die Jesus von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern fordert. Und er sagt, was ihr diesen Bedürftigen an Gutem getan habt, das habt ihr mir getan. Auf dem mittelalterlichen Bildzyklus des Meisters von Alkmaar ist das festgehalten: Mit den Hungernden steht Jesus in der Reihe der Wartenden, er ist durstig, er ist fremd, doch dort wo er eigentlich hinter Gittern stehen müsste, kommt er als Besucher. Offenbar hatte der Maler nicht den Mut, sich Jesus als Gesetzesbrecher zu denken. Ein Fehler! Und das nicht nur, was seine historische Rolle angeht, auch auf seine Botschaft bezogen ist das falsch. Jesus zieht keine Grenze zwischen den Menschen. Jede und jeder verdient Respekt und Zuwendung. Ich habe mit Menschen gesprochen, die eingesperrt waren. Dabei habe ich keine wirkliche Grenze zwischen denen verspürt, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren hinter Gitter kamen und denen, die straffällig wurden, nur weil sie ihre Menschenrechte eingefordert haben. Hinter der geschlossenen Zellentür verschwindet mancher Unterschied. Dieser Jesus, der sich zum Knastbruder macht, der unbehaust in der Krippe liegt und doch zum Sinnbild einer wirklichen Zeitenwende wurde, erreicht zu Weihnachten auch die Menschen hinter Gittern. Heidi erzählt davon. Wie war das, Weihnachten im Knast?
Heidi:
Furchtbar, gnadenlos, gemein, unerträglich. Aber nicht immer. Das erste Jahr war ganz furchtbar. Abgesehen davon, dass man sich ja genau wie an alles andere im Knast auch daran gewöhnt, Weihnachten oder Feste da zu verleben. Das schafft man, ob man es glaubt oder nicht, aber man schafft es dazubleiben, ansonsten gehst du sowieso kaputt.
Aber im Jahr darauf waren wir eine Gemeinschaft, die zusammen sogar gesungen hat. Wir durften natürlich nicht singen, haben wir aber trotzdem gemacht. Da war meine Freundin Katrin, die ist Pianistin und konnte auch singen und die hat immer für die Weihnachtslieder die Flötenoberstimme gesungen und das haben wir einfach gemacht, haben uns ans Klofenster in der Nacht gestellt, wir hatten ja drei Schichten zu arbeiten, und haben da im Fenster gestanden und gesungen und die Wachteln haben uns noch nicht mal rausgeholt. Die haben uns singen lassen. Und wir haben uns Geschichten erzählt aus unseren vergangenen Weihnachten, die zuhause noch waren und unsere Lieblingserlebnisse erzählt. Dann kannst du Weihnachten auch im Knast aushalten und das ist eine erstaunliche Erfahrung, dass unter solchen Umständen auch Freude im Knast möglich ist – aber bedingt natürlich.
Weihnachten kommt einem in so einer Zeit wieder nahe. Auch wenn du es zuhause nicht mehr betrieben hast, aber im Knast bis du wieder bereit, diese Weihnachtsgeschichte zu denken, zu empfinden, also diese Freude, die darin ist, die überträgt sich auf Leute im Knast, mit Sicherheit! Also wir haben uns auch eben viele christliche Lieder vorgesungen. Also nicht irgendwelche Lieder, die wir im Kindergarten und in der Schule in der DDR gelernt haben. Sowas haben wir nicht gesungen, wir haben diese christlichen Weihnachtslieder gesungen.
Heidi erinnert die zwei Weihnachtsfeste im Gefängnis sehr genau. Gaston schaut weniger emotional auf diese Zeit zurück:
Gaston:
Ich glaube, dass es recht unterschiedlich war. Ich habe mal durchgerechnet, grob, es müssen ungefähr 13 insgesamt bei mir gewesen sein. Und ja, da werden bestimmt... das erste wird wohl auf alle Fälle anders gewesen sein als, sage ich mal, als die letzten, vom Gefühl, von der Stimmung her, bestimmt. Da war bestimmt eine gewisse depressive Stimmung mit dabei. Habe bestimmt viel an die Weihnachten mit meiner Mutter und meiner Oma damals gedacht, ja.
Woran er sich erinnert, habe ich ihn gefragt. Was genau war besonders zu Weihnachten?
Gaston:
Na auf alle Fälle bestimmt von der Versorgung her, also vom Essen schon, obwohl das Essen ja immer ein gewisser Höhepunkt war da zu Weihnachten jetzt, egal, ob Ost oder West und ja dann glaube ich auch – dann weiß ich nicht, ob wir im Osten, ob es damals Pakete oder sowas gab. Also heutzutage bekommt man ja ein Fünfkilo Weihnachtspaket. Das ist auch so etwas wie ein Höhepunkt.
Wenn Weihnachten hinter Gittern für Gaston keinen besonderen Erinnerungswert hat, so war das Weihnachtsfest für Burkhard in der Stasihaft geradezu traumatisch.
Burkhard:
Ich habe Weihnachten 1976 in der U-Haft in Dresden in der Bautzener Straße, Stasi-U-Haft in der Bautzener Straße, erlebt. Da kamen die Glocken der Hofkirche rüber und mit einem Mal fingen im Hafthaus Stimmen an zu singen: O du stille... Und ich war ja gerade erstmal sechs Wochen in Haft, in U-Haft, hab da mit eingesetzt. Und nach einer gewissen Zeit ging die Tür auf, also die Zellentür auf: Raustreten, 17.1! Also war die Zellenwand. Wir wurden nicht mit Namen angesprochen, sondern mit Nummern, wie die Pritsche stand, links, rechts - 17.1 raustreten. In dem unteren Hafthaus befand sich dann auf der anderen Seite auch die Duschkabine. Da hieß es hingehen, ausziehen. Ausgezogen, rein in die Duschkabine. Duschkabine ging zu. Und da habe ich bibbernd vor Kälte gesessen und überlegt, was passiert hier mit mir. Eigentlich absolute Hoffnungslosigkeit. Und ich hab auch Probleme seitdem, Weihnachtsfeste in dem Sinne so zu erleben, wie es andere erleben.
Und auch das zweite Weihnachtsfest in der Haft wird ihm unvergesslich bleiben:
Burkhard:
Da ich nicht wieder in die DDR entlassen werden sollte, habe ich zu dem Zeitpunkt Hungerstreik gemacht und war in der Absonderung, im Tigerkäfig. Also meine Weihnachten in Haft waren immer in Absonderung. Der Tigerkäfig ist eine Zelle, wo vor dem Fenster Gitter sind und wenn man zur Tür reinkommt Gitter, also man bewegt sich in einem Käfig und der Wärter... Also das Bett ist hochgeschlossen, der Sitz ist hochgeschlossen, der Tisch ist hochgeschlossen, man kann sich nur in den zwei, drei Quadratmetern bewegen. Die Toilette nur, wenn der Schließer, der Wärter es möchte.
Ich habe gerade in der Situation das erste mal in meinem Leben kennengelernt wie hilflos der Mensch sein kann, wie fremdgesteuert. Der Glaube war immer da, das ist geschuldet meiner Erziehung. Meine Oma hat sich hauptsächlich um mich gekümmert, die war gläubig. Ich habe den Glauben nie verloren, betrachte den Glauben immer als guten Begleiter für mich, der mich stützt auf allen Wegen.
Weihnachten hinter Gittern, das ist in unserem Kulturraum eine ganz sensible und oft schmerzliche Zeit. Auch Menschen, die wenig mit der christlichen Tradition vertraut sind, verbinden mit diesen Tagen vor dem Jahreswechsel meist intensive Erinnerungen und Erwartungen. Alles soll gut sein zum Weihnachtsfest. Die dunklen Tage werden überstrahlt von Lichtern in Geschäften und auf Balkonen, vertraute Melodien aus allen Lautsprechern, überall Weihnachtsmärkte und der Geruch von gebrannten Mandeln und Glühwein. Wer es in Dauerberieselung erlebt ist vielleicht genervt, wer es im Gefängnis erinnert wird wehmütig. Kaum etwas davon dringt hinter die hohen Mauern der Gefängnisse. Und doch: man hört Radio, man sieht Fernsehen, man erlebt den Advent als eine Zeit besonderer Anspannung. Davon weiß Pfarrer Michael Wohlrab zu erzählen. In seiner Zeit als Gefängnispfarrer war Weihnachten immer eine ganz besondere Zeit.
Pfr. Wohlrab:
Weihnachten war oder ist für die Justizvollzugsanstalten eine Herausforderung, weil wir als Seelsorger und Pfarrerinnen und Pfarrer wollten, dass möglichst viele zu den Gottesdiensten kommen können, die wir angeboten haben und das gleichzeitig bei der dünneren Personaldecke zu den Feiertagen eine ganz schöne Herausforderung ist. Und wir haben die Weihnachtsgottesdienste in der Regel in der großen Sporthalle, Multifunktionshalle, gefeiert, dort wurden dann die Stühle aufgebaut und es gab auch einen extra Ort, an dem dann die Geschenke verteilt worden sind. Und ursprünglich vor Corona kamen dann fast bis zu 200 Inhaftierte zu den Gottesdiensten und während der Coronazeit musste das natürlich reduziert werden und wir haben dann drei Gottesdienste hintereinander gefeiert, mit jeweils 60 Personen.
Das Interessante ist, dass Weihnachten auch Menschen kommen, die sich gar nicht unbedingt dem Christentum verbunden fühlen. Das hängt zum einen natürlich auch damit zusammen, dass es ein Geschenk gibt am Ende des Gottesdienstes, aber ich glaube nicht, dass das der eigentliche Grund ist. Der Heilige Abend ist einer der traurigsten Tage des Jahres für Menschen, die im Gefängnis sind und ich selbst kann mir auch kaum einen trostloseren Ort vorstellen, um Weihnachten zu feiern. Also am Abend kommt wirklich alles zusammen. Man erinnert sich an die Menschen, die draussen sind und die ohne einen feiern, man wird mit der eigenen Schuld konfrontiert, wenn man alleine abends, nachts, wenn es dunkel wird in der Zelle sitzt, dann kann da wirklich die Welt über einem zusammenbrechen und deswegen ist natürlich so ein Gottesdienst, wo man auch die anderen Inhaftierten sieht, die ein gleiches Schicksal haben, ein unglaublich wichtiger Ort. Und zudem ist es auch so, dass die Menschen angerührt sind, wenn sie den Weihnachtsbaum sehen, wenn sie die Krippe sehen, wenn sie die Lieder hören, auch wenn sie die zum Teil natürlich nicht mitsingen können, aber sie doch irgendwie was bei ihnen anrühren und wenn sie erleben, dass sie nicht an diesem Ort ganz allein gelassen sind.
Heidi:
Der Gedanke an zuhause war immer das Schlimmste in allen Tagen, nicht nur Weihnachten, Weihnachten natürlich noch schlimmer. Aber ich war ja alleine, also hatte keine Kinder zuhause. Meine Freundinnen, also die Hohenecker Freundinnen, die hatten alle ihre Kinder zuhause. Zum Teil waren die im Heim gelandet, weil die Mutter eben eingesperrt worden ist oder sie waren irgendwo, wo sie auch nicht sein sollten, bei irgendwelchen Angehörigen und also mit denen... Da habe ich manchmal gedacht, Gott sei Dank, muss ich das nicht auch noch aushalten. Der Gedanken an die Kinder zuhause war das allerschlimmste. Und ansonsten, klar, da bist du schon etwas getroffen, wenn du an zuhause denkst in Hoheneck, zum Beispiel oder in jedem Knast.
Michael Wohlrab ging es ganz ähnlich, auch er denkt sofort an die Familien der Inhaftierten.
Pfr. Wohlrab:
Was mir bei meinem Dienst als Gefängnisseelsorger immer am meisten nahe gegangen ist, ist die Situation der Kinder, die von ihren Vätern getrennt sind und die eigentlich bestraft werden für etwas, was sie nicht getan haben, und das auszuhalten ist auch für mich sehr schwer gewesen und natürlich umso schwerer für die Familien. Wir haben manchmal die Gelegenheit also auch in der Adventszeit aber auch im Jahr, Familien mit den Gefangenen zusammenzubringen im Rahmen eines sogenannten Pfarrersprechers, aber am Ende ist es dann doch so, dass die Familien Weihnachten getrennt sind. Und das ist, denke ich, eine sehr harte Strafe.
Wenn Jesus sagt, dass, wer einen Gefangenen besucht, ihm, dem Heiland selbst, etwas Gutes tut, so fragt er nicht nach dessen Schuld, er fragt auch nicht nach dessen Religion oder Nationalität, er sieht einen Menschen, der des Trostes bedarf, das genügt.
Pfr. Wohlrab:
Auch die Muslime klinken sich bei den Gottesdiensten mit ein. Zum Teil liegt das sicher auch daran, dass im Islam die Geburt Jesu durchaus eine Rolle spielt und sie da auch leichter anknüpfen können als beispielsweise an Ostern. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass die Religionen ein großes Trennungskriterium im Gefängnis sind, sondern die Religionen oder die Kirchen bieten einen Raum, wo Menschen zusammenkommen können, wo Menschen zusammenkommen können, um vorurteilsfrei einander zu begegnen. Und diese Räume zu öffnen, das war eigentlich unser Ziel und deswegen haben wir auch in den normalen Sonntagsgottesdiensten durchaus Menschen, die keine Christen sind, also Muslime, Ausgetretene, aber auch Kurden, Jesiden...
Wir hatten beispielsweise auch viele Roma im Gefängnis, die auch noch einmal eine ganz eigene Frömmigkeit hatten, die zum Teil zu besonderen Festen auch ihre eigenen Liturgien und Lieder vorgesungen haben auch vor den anderen Gefängnissen und da wurde nicht gelacht, sondern das wurde auch respektiert und mit Wohlwollen angehört.
Zum Schluss soll Gaston noch einmal zu Wort kommen. Weihnachten im Knast hat ihn nicht wirklich erreichen können. So wie ihn vieles nicht erreichte in der Zeit, als er immer wieder straffällig wurde. Das waren viele verlorene Jahre für ihn und für alle. Doch dann kam die Wende, als er in der, von dem Jesuiten Christian Herwartz gegründeten Wohngemeinschaft in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg ein Zuhause fand, wo jede und jeder willkommen ist, ohne sich vorher erklären zu müssen.
Gaston:
Na, wo ich damals nach meiner Entlassung in die Naunynstraße gekommen bin, da gab ja nach kurzem, wie nennt man es? – den Umbruch, den Wandel, das Erwachen, das Aufwachen. Und das Weihnachten in der Naunyn, das war dann damals für mich in der Form etwas völlig Neues und sehr schön. Also, das war dann speziell, wo ich dann in dem Sinne auch die Weihnachten, die vergangenen Weihnachten, dann nicht vergessen, aber das war dann halt weg, das war dann was Schönes. Also die Naunynstraße das Weihnachten, Heilig Abend habe ich sehr genossen da. Ich bin direkt dann, am Entlassungstag vor über zwölf Jahren in die Naunynstraße. Habe insgesamt so, ich glaube, so zehn Jahre dann dort gewohnt. Dieser Bruch, diese Wandlung hat für mich stattgefunden, sage ich mal.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Weil Gott in tiefster Nacht erschienen
- Rote Rosen, Stille Nacht
- O Heiland, reiß die Himmel auf
- Jonny Cash, St. Quentin